Ich bin gestern gestürzt! Knie aufgeschlagen, Arm auch, ganze rechte Seite lädiert, richtig über den Asphalt gerutscht. Darüber wollte ich eigentlich gestern Abend noch schreiben, aber dann kam Bier dazwischen und so reichte es nur noch für Depriworte. Jetzt aber. So ein Sturz mit Schürfwunden hat was Nostalgisches! Bierfreundin war sogar neidisch auf mein Erlebnis. Und das war so: Ich war laufen. Schnell, mit Musik, mit Laufrausch, mit langen Beinen fast gesprintet. Ich bin lange nicht mehr so schnell gelaufen. Die Fußballer auf dem Sportplatz waren auch verdutzt, fragten sich wohl, was mich denn gestochen hätte, ich ziehe ja sonst meine Runden immer recht ruhig und gleichmäßig durch. Es hat so einen Spaß gemacht! Die Musik machts. Ich erinnere mich wieder: ich bin früher nur mit Musik gelaufen, so also schaffte ich zehn km in locker unter einer Stunde. Als ich dann gestern meine Runden runtergesprintet hatte, rief ich die Bierfreundin an, ich käme jetzt direkt zu ihrer Straße gelaufen, dort könne man dann ja auf der Bank ein Bierchen trinken. Ein paarhundert Meter vorm Ziel kam eine Ampel und ich bin nicht über rot gelaufen, da Eltern mit ihrem Kind an der anderen Straßenseite auf grün warteten. Das Kind saß im Rollstuhl, ein Bein schwer eingegipst und hochgelagert und ich spürte einen Stich in meinem Herz. Das Kind da im Rollstuhl gefesselt und ich in meinen kurzen Laufhosen, mit langen trainierten Beinen und einem glücklichen Gesichtsausdruck nach dem guten Sprint. Ich habe das öfter, wenn ich laufe und dann auf behinderte Menschen treffe, die nicht laufen können. Ich stelle mir immer vor, wie es ihnen weh tun muss mich so zu sehen. Anders ist es mit alten Menschen. Da lächel ich einen alten Herren gern an und mache ihm gern eine Freude durch meine Erscheinung. Also ich blieb an der Ampel stehen, das Herz stichte, und ich bemerkte dass die Schleife des linken Schnürsenkels fast aufgelöst war. Ich wägte kurz ab, jetzt bücken oder die letzten Meter so noch eben weiterlaufen. Ich lief bei grün weiter. In meinen Ohren ertönte "Halt an deiner Liebe fest". Und dann passierte es. Ich trat mit dem rechten Fuß auf den linken Schnürsenkel, der linke Fuß blockierte und ich flog mit voller Wucht. Ich flog erst mal, dann rutschte ich auf dem Pflaster weiter. Es dauerte bis ich endlich still lag. Mein erster Gedanke: liegen bleiben, damit ich den Moment des nicht-Aufstehen-können und der Realisierung der Verletzung noch kurz hinauszögern kann. Zwei Menschen stehen vor mir, fragen ob alles ok ist. Ich antworte ja, ich müsse nur mal eben schauen ob ich aufstehen kann. Stehe auf und sehe meinen Nachbarn mit seinem Freund da stehen. Ein Radfahrer kommt hinzu, fragt ob alles ok ist. Es muss echt dramatisch ausgesehen haben. Mein Nachbar schaut mich besorgt an. Fragt, was ich denn hier mache, wir würden doch da hinten (andere Richtung) wohnen. Ich erzähle kurz den Bierplan und laufe weiter. Als ich an mein Bein runterschaue, sehe ich Blut laufen. In dem Moment schießen Tränen in meine Augen. Seltsam, was? Zu sehen dass man blutet muss irgendeine chemische Reaktion im Körper auslösen. Ich glaube Kinder weinen auch immer erst wenn sie sich bluten sehen oder eine hysterische Mutter "Es blutet!!" schreit. Ich komme an der Bank an, wir gehen in den Kiosk zum Bier kaufen und ich sage, schau mal, irgendwie bin ich verletzt. Im Licht sehen wir das blutende Knie, den blutenden Arm und die anderen Schürfwunden. Bierfreundin schlägt vor Wunden mit Bier auszuwaschen. Wir trinken. Wie lange hatte man sich schon nicht mehr auf die Fresse gelegt! Wie lange hatte man schon keine Schürfwunden mehr! Wir rechnen kurz durch und kommen auf locker fünfzehn Jahre. Ein junger Mann trifft uns, wir trinken weiter, ich blute weiter.
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