Um kurz vor elf endlich zu Hause angekommen, endlich Feierabend, mache ich natürlich noch ein Bier auf. Der Trick nun wird sein, mich nicht reinzudenken und nicht eine weitere Nacht weinend einzuschlafen. Zwei Nächte hintereinander weinen macht mein jugendlicher Körper nicht mit. Fühlte ich mich heute schon sehr verquollen aussehend, wird man mir es nach so einer weiteren zweiten Nacht morgen ansehen. Also jetzt Bierchen genießen und cool bleiben, positive Gedanken fassen.
Meiner Mutter geht es immer schlechter. Sie fühlt sich verloren, verloren bei sich selbst. Ich glaube Kopfkrankheiten sind die schlimmsten. Mittlerweile ist sie zwei drei mal die Woche in einer Tagespflege. Sie fühlt sich dort abgeschoben, verloren, ungeliebt, doof, krank. Ich erzähle der Bierfreundin davon. Die Bierfreundin ist auf Zack. Das sei doch klar, bei dem Krankheitsbild, bei dem sie so sehr auf Vertrautes bauen muss, dass sie sich dort erst mal unwohl fühlt. Das wäre doch ganz seltsam gewesen wenn sie sich dort in der fremden Umgebung auf Anhieb wohl gefühlt hätte. Ja, stimmt, ist was dran.
In der Mittagspause mache ich kurz einen Zwischstop bei meinem Vater. Naiv wie ich bin erwarte ich tröstende Worte nach der durchheulten Nacht, in der ich in aller Genauigkeit nochmal die komplette Krankheit durchgegangen bin und noch mal haarscharf nachgedacht habe, was man noch machen kann. Meine Vorschläge werden abgeschmettert mit den Worten: bei dem Krankheitsbild...
Alle reden von dem Krankheitsbild, ich rede von den Gefühlen meiner Mutter.
Ich erinnere mich noch gut an das eine Gespräch mit meiner Mutter vor ein paar Jahren, kurz nach der Diagnose. Sie stand da in der Küche, spülte, ich stand in der Terrassentür, rauchte, wir redeten und sie sagte schließlich, so ihr Leben zusammenfassend abschließend, dass sie letztendlich niemanden hätte in ihrem Leben mit dem sie sich verbunden fühle, da sei nur ich. Ich habe nur dich, sagte sie. Und hatte Tränen in den Augen. Vielleicht vor Angst.
In der Zeitung sehe ich in letzter Zeit öfter die Werbung für das Lokalradio. Darin sind immer Fotos von dem Moderator und einer Moderation abgebildet. Der Moderator machte machte damals Zivildienst bei meiner Mutter. Er saß eines Tages heulend im Treppenhaus. Meine Mutter als Obervorgesetzte suchte ihn und als sie ihn fand, setzte sie sich zu ihm. Sie erzählte mir das damals. Sie setzte sich zu ihm auf die Treppe. In ihrem schicken Kostüm. Einfach auf die Treppe, neben ihn. Warum er weinen würde. Er wäre extra nicht zum Bund gegangen weil er keine Befehle annehmen wollte und jetzt hätte er genau das im Zivildienst. Sie redete mit ihm und ich weiß nicht genau was sie ihm sagte aber es war wohl irgendwas wie das (Berufs-)leben tickt. Sie sprach noch oft von ihm wenn sie ihn im Radio hörte und er schickte noch oft Weihnachtskarten und Geburtstagsgrüße.
Ich erinnere mich auch nocht gut an die Zeit direkt nach der Diagnose. Ein Satz holt mich jetzt ein: ich werde irgendwann nichts mehr mitbekommen, werde in meiner eigenen Welt leben, und ich werde das schon aushalten, ich bekomme das dann einfach nicht mehr mit. Aber für dich, für dich wird es der Horrortrip.
Und genau da bin ich jetzt.
overloaded am 16. Dezember 11
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