Montag, 19. Dezember 2011
Ich will darüber schreiben, wie ich musizieren gelernt habe zu erleben, aber ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Bei jedem Versuch anzufangen genau das zu beschreiben, erwische ich mich bei einem Vorwurf meinen Eltern gegenüber. Dabei kann ich ihnen keinen Vorwurf machen. Meine Eltern können nichtmals Noten lesen. Und trotzdem haben sie es geschafft, mir die Option zu geben zu musizieren. Ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Ich beginne einfach mittendrin.

Mittendrin. Ich werde nie das Gefühl vergessen mittendrin zu sein. Ich spielte immer die zweite Geige. Die zweite Geige ist nicht schlecht, auch wenn sich das zuerst liest wie "oh, nicht die Erste". Die zweite Geige ist klasse. Man sitzt mittendrin. Rechts die Ersten, links die Bratschen und man bekommt auch noch gut die Celli mit. (Also mit zweite Geige meine ich jetzt die zweite Stimme. Ist wahrscheinlich im Orchesterjargon nicht so.)
Mittendrin spielen. Hören wie die Erste spielt, einsetzen, mal ganz vorsichtig, mal ganz stark. Und dann kommen die Bratschen (OT gibt übrigens gute Bratschenwitze, bringe ich ein anderes Mal) und spätestens dann setzen die Celli ein. Es ist so herrlich! Es ist so herrlich ein Teil der Musik zu sein. Du spürst wie du wann einsetzen muss. Jeder Bogenstrich mit ganz viel Gefühl. Ich habe es geliebt.
Mittwochs Abends war immer Orchester. Ich bin immer hingegangen, auch wenn ich keine Lust hatte. Auch wenn es mir schlecht ging. Danach ging es mir immer gut, und das wusste ich. Komplett abtauchen in der Musik. Ich war jugendlich. Das war mein Zufluchtsort. Ich habe es noch genau vor Augen und genau in den Ohren. Ich habe es geliebt, dieses muszieren mit anderen. Dieses die Töne in der richtigen Form zum richtigen Zeitpunkt richtig reinzubringen. So filigran. Ich war in den ersten Cello verliebt. Er war aber auch einfach klasse. Ich habe ihn neulich irgendwann gegoogelt. Er spielt jetzt in einer Band in Berlin. Er spielt kein Cello mehr.
Ich möchte darüber schreiben, wie gut das Orchester war in dem ich damals spielte und auch darüber wie ich in einem sehr guten Chor gesungen habe und dann auch noch darüber, dass mein Vater mir vor ein zwei Jaren ohne mit der Wimper zu zucken das Akkordeon gekauft hat und dass ich ihm heute gesagt habe, dass ich eigentlich mal wieder eine Gitarre gebrauchen könnte, und dass er gar nciht weiß, dass ich die Akkorde für Lagerfeuermusik selbstverständlich auf der Gitarre spielen kann, obwoh ich nie eine besessen habe. Aber es verdammt schwer zu beschreiben, wie ergreifend muzieren ist. Aber immerhin habe ich heute damit angefangen.



Ich habe Angst vor dem Firmentermin morgen Abend bei dem ich "antanzen" soll. Ich habe Angst vor dem Gespräch mit dem Chef morgen früh, mittag oder wann auch immer, bei dem ich am Liebsten alles platzen lassen würde, die ganze hinterfotzigen Scheiße auf den Tisch bringen möchte mich direkt danach in den wochenlangen burnout-Krankenschein zu verabschieden aber bei dem ich zehn Minuten lang einfach nur alle zwei Minuten ein "jaja" rausbringen werde, weil es einfach einfacher ist. Ich habe Angst dass sich die neue Job-Option deswegen nicht meldet, weil sie mich nicht wollen. Ich habe Angst vor Weihnachten, weil alle bei ihren Familien sein werden und ich nur bei meinen Eltern bin, weil mein Vater auf die Frage nach "Was ist denn mit Weihnachten?" nur antwortete: ja nichts, willst du kommen? Ich habe Angst dass nicht alles gut wird, auf lange Sicht, bei mir.

Ich glaube meine Oma stirbt bald. Und keinen in der Familie interessiert das, keiner checkt das.