Als ich gestern mit meinen Eltern beim Essen zusammen sitze, will meine Mutter meinem Vater und mir was erklären, aber sie kann die richtigen Worte nicht mehr finden und auch nicht mehr in Sätze zusammenfügen. Sie sieht uneheimlich schlecht aus, die Augen so klein, die ganze Zeit halb geschlossen. Seltsamerweise ist sie gut gelaunt. Irgendwas passt nicht zusammen und ich frage meinen Vater was los sei. Sie bekommt jetzt noch ein Medikament, eins für gute Laune. Im ersten Moment bin ich schockiert. Ich suche die Packungsbeilage und lese, es ist ein Medikament für A.patienten die agressiv anderen gegenüber sind. Meine Mutter ist null agressiv. Im ganzen Krankheitsverlauf war sie nur einmal, vor Jaahren wütend und hat ein Glas durch das Wohnzimmer geschmissen weil mein Vater sie irgendwie geärgert hatte aber ansonsten ist sie lieb, die ganze Zeit. Sie geht nicht an den Herd oder zerstört irgendwas oder sonst was. Sie sagt dann: nein, dass kann ich nicht. Ich weiß nicht genau was agressive A.patienten machen, aber ich weiß dass meine Mutter nicht agressiv ist und auch nicht irgendwas macht, was daneben gehen könnte (Kerzen an oder sowas).
Nach dem ersten Schock über dieses krasse Medikament wird mir plötzlich klar, es geht nur noch darum es erträglich zu machen, für sie und für uns (und für die Pfleger in der Tagespflege, die das Medikament initiiert haben..). Sie fängt an uns was zu sagen. Sie schafft es in einem Satz auszusprechen, dass sie uns liebt aber ich verstehe den Rest nicht wirklich. Ich verstehe nicht ob sie sagen will, dass das ok ist wenn sie drei Tage in der Woche in der Tagespflege ist oder ob sie es dort nicht aushält. Es kann auch sein dass sie uns sagen wollte, dass sie in ein Heim will. Das sei jetzt einfach so, sagt sie, sie könne nichts dafür, aber so, jetzt gut, ok. Ich hätte das direkt aufschreiben müssen, ich krieg das Kauderwelsch jetzt nicht mehr zusammen.
Jedenfalls war der Abend gestern schön soweit. Irgendwann sitzen wir drei zusammen im Wohnzimmer nah beieinander auf der Couch, die Kerzen am Tannenbaum brennen langsam runter, ich lese meinem Vater aus dem Buch vor was ich ihm schenkte, wir beobachten was im Haus gegenüber so passiert und trinken das Bierchen aus. (Seltsamerweise betrinken wir uns nicht und ich kann sogar noch Autofahren.)
Als mein Vater kurz das Wohnzimmer verlässt sprechen meine Mutter und ich irgendwas, sie sagt ich sei doch immer nett und noch irgendwas und ich fange an zu weinen. Plötzlich ist sie für ein paar Augenblicke total klar. Zwei drei Minuten lang. Sie fragt was denn los sei und ich müsse doch jetzt nicht weinen und traurig sein, warum denn, nein, wegen ihr doch nicht. Ich kann das jetzt gar nicht wiedergeben aber sie schaute mich einfach völlig klar an und redete tröstend auf mich ein. Dann nahm sie mich in den Arm und ich konnte aufhören zu weinen.
Ich verstehe das menschliche Gehirn nicht. Da ist alles kaputt aber irgendwo müssen noch Resourcen sein so dass der Mutterinstinkt noch funktioniert wenn es sein muss.