Freitag, 26. April 2013
Ich reiße mich zusammen, beiße die Zähne fest zusammen, drücke tagsüber Tränen weg und setze ein nettes Dauerlächeln auf um davon abzulenken, dass ich unendlich schlecht aussehe. Ich frage die liebe Kollegin, ob ich tatsächlich so oberschlecht aussehe wie es mein Spiegelbild vorgibt. Sie verneint und meint das aus ihrer Sicht ehrlich. Ich kenne das: ich schaue in den Spiegel und bin erschrocken wie fertig ich aussehe, andere sagen aber ich sähe gut aus. Das ist das: sie können nicht unterscheiden zwischen hübsch sein und gut im Sinne von fit aussehen. Ich nutze das einfach. Solange ich lächel sehen mir die meisten Menschen nicht an, dass ich eigentlich völlig fertig aussehe. Mein Vater sieht das. Du siehst unheimlich schlecht aus, sagt er dann. Als ich heute zu seinem Ausstand kam und ihn sah war auch mein erster Gedanke: meine Güte sieht er fertig aus. Hat vor lauter Aufregung gestern auch zu viel getrunken. Aber man sah ihm das wahrscheinlich genauso wenig an wie mir. Im Anzug, so mit feiner Krawatte und Nadel machte er einfach was her. Mich stichte es kurz ins Herz als er auf seine Krawatte angesprochen wurde und er sagte er wisse nicht mehr genau woher er die hätte, hat ihm wahrscheinlich eine seiner neunzehn Freundinnen geschenkt, so war sein Wortlaut. Den Ausdruck "meine Frau" gibt es in seinem Wortschatz nicht mehr außer im Zusammenhang mit "meine Frau ist ein schwerer Pflegefrau" aber davon erzählt er nicht. Er redet von neunzehn Freundinnen was seine Freundin und zwei drei andere Frauen (z.T. alte Freundinnen meiner Mutter), die einfach mal zwischendurch was helfen (meine Mutter betreuen oder Essen machen für eine Feier) umfasst. Ich verurteile das nicht. (Im Gegensatz zu anderen). Ich verurteile auch seine Freundin nicht. Mit schwarz-weiß-Denke käme ich gar nicht mehr klar. Dennoch sticht hier und da mal was mein Herz. Es ist ja nun mal meine Mutter. Es tut einfach weh.

Und dann habe ich wieder die letzten Tage viel zu viel getrunken, und dann ficken diese bösen pms-Hormone meinen Kopf, und dann bin ich übermüdet weil ich die halbe Nacht wach liege, und dann kotzen mich die Entscheidungen in der Firma an, und dann verzweifel ich weil ich den Chef eigentlich mag aber seine Fehlentscheidungen von Tag zu Tag schlimmer werden uns ixh nicht mehr weiß wie ich ihn und letzten Endes mich aus der Misere rausholen soll, und dann sagt mir mein Spiegelbild wie fertig ich bin, und dann lächel ich den ganzen Tag fast alles weg und dann versuche ich mich über einen Sieg des VFLs zu erfreuen, bin dankbar für das ein oder andere kurze und gute und liebgemeinte Telefonat oder Treffen mit irgendwelchen guten Menschen in der Firma oder an der Tanke oder so, oder ich erfreue mich dass zwischendurch ein Sonnenstrahl durch die Wolken kommt oder dass schon ein paar Blümchen richtig schön auf dem Balkon blühen, aber dann irgendwann kommt irgendwas, was das Fass zum überlaufen bringt. Was die Tränen nicht mehr stoppen sondern rausfließen lässt, was keinen guten Gedanken mehr zulässt, was mich völlig verzweifeln lässt, so auswegslos und ich sage mir: komm, das ist nur ein Gefühl, das ist die Realität, und was ist das für ein Gefühl und woher kommt das aber wenn das Fass dann richtig übergelaufen ist, zieht auch das nicht mehr, dann ist das halt nur ein Gefühl aber es lässt mich lahmen, es lähmt mich, es macht mich handlungsunfähig, lebensunzulänglich, ich Wrack.

Das Fass zum Überlaufen brachte eben eine Nachricht von dem jungen Mann, der kreatives Schreiben studiert. Ein nächstes Treffen würde er erst im Juli oder August schaffen. Die Nachricht ist lieb geschrieben, keine Frage, aber es ist auch ganz klar, dass es ihm nicht wichtig ist mich eher zu treffen. Er sei zu verplant während des Semestes. Wer will findet Wege, wer nicht will findet Ausreden...Klar sagt mein Verstand: was solls, der Typ ist eh viel zu jung, das ist doch eh nichts. Aber im Moment fühlt sich einfach alles nur völlig sinnlos an. Da braucht mein schlauer Verstand nichts hinzu zu fügen.

Ich hoffe morgen sieht die Welt wieder besser aus. Es kommt mir nur gerade so vor, als wenn schon seit Monaten alles gegen mich läuft. Ich komme einfach nicht mehr gut drauf. Und ich bemühe mich so sehr. Ich reiße mich so viel zusammen optimistisch zu bleiben. Aber es wird immer perverser. Es fühlt sich mittlerweile fast lächerlich an, wenn ich mein Dauerlächeln auflege.