Mittwoch, 8. April 2015
Ich könnte gut noch ein Bier aufmachen und über ihn schreiben, wie er in diesem Urlaub mich überrascht hat, mit einer Postkarte, von mir unbemerkt versendet so wie ich es für ihn in den all den letzten Urlauben gemacht habe. Er hat es mir quasi nachgemacht. Und so viel gäbe es aufzuschreiben wie das war mit ihm und mir und wie das jetzt ist mit ihm und mir und wie ich mir wünsche wie das noch werden soll mit ihm und mir. Aber ich muss ins Bett. Es ist gerade viel Arbeit und ich möchte morgen fit sein.

Die Postkarte kam heute an.



Meiner Mutter geht es sehr schlecht. Sie kann nicht mehr richtig schlucken. Menschen mit so einer Krankheit sterben entweder weil die Medikamente die Organe angegriffen haben oder weil irgendwann dann die Gehirnregionen angegriffen sind, die für die letzten bzw wichtigsten, lebenserhaltenden Regelungen im Körper zuständig sind. Wie beispielsweise das Schlucken. Sie quält sich sehr.

Und erkannte mich. "Das sind alles nur Annahmen!", ruft die Dicke aus.

Mein Vater hat heute Geburtstag. Es kamen keine Gäste. Auf dem Weg zu ihm nach der Arbeit freute ich mich auf die-und-die Freundin meiner Eltern, das-und-das befreundete Pärchen und hoffte dass die-und-die nervigen Verwandten schon weg seien. Als ich ankam und parkte erst Freude, dass der Wagen der Dicken noch nicht da stand, als ich das Haus betrat dann Ernüchterung: keiner da. Ein ganz normaler Pflegealltag. Meine Mutter auf halb hängend im Rollstuhl an ihrem (neuen) Platz vor Kopf am großen Esstisch, mein Vater telefonierend sie fütternd. Ich habe ein Geschenk in der Hand, ein gutes Buch, ein dickes, schweres Buch, schön eingepackt mit einem Marzipanglücksschwein draufgeklebt. Er füttert sie mit Geburtstagstorte, ich gebe ihm ein Zeichen dass er ihr zu trinken geben soll und sehe im selbem Moment wie ihr alles aus dem Mund rausläuft. Ihre Augenlider hängen schwer. Mit wem telefoniert er? Ich höre eine Frauenstimme, höre nettes und oberflächliches Gelaber, kann sie aber nicht einordnen. Gehe einfach erstmal aufs Klo, wie ich es hier gelernt habe: einfach mal eben kurz verschwinden, sich einschließen. (Ich bin nach Jaaahren immer noch dankbar für diesen Hinweis in einem Kommentar, danke nochmal). Er telefoniert immer noch. Es geht um das neue Gewächshaus. Mein Geschenk liegt ungeburtstagsmäßig passend zur Stimmung stumm auf dem Tisch. Das Marzipanglückschwein schwitzt unerkannt unter der Platikfolie vor sich hin. Ich setze mich auf (seinen) meinen neuen üblichen Platz, warte dass das Telefonat endet. Die Frauenstimme am anderen Ende immer noch nicht erkannt. Als er mir sagt wer das war denke ich nur: ja klar!. Wir umarmen uns. Wir sprechen über Mama, es geht ihr nicht gut, fachsimpeln, überlegen was die Pflegeeinrichtung falsch gemacht hat, überlegen was los ist. Ich breche ab, denn es führt zu nichts und gehe in den Geburtstagsgeschenkübergeb-modus. Ein Buch über Gewächshäuser! Klasse! Nein, so eins hat er nocch nicht, er hat sich noch nicht eingelesen. Aber der Bauunternehmer hat heute schon mal die Fundamente gelegt. Ich freue mich dass mein Geschenk noch eine (Wissens-)Lücke füllt. Irgendwas geht an der Tür, und die Tür geht nicht auf, ich öffne: sie ist da. Ich fragte zwiscchendurch ab wer im Laufe des Tages da war, wer angerufen hatte usw. Sein kleiner Bruder kam vorbei (mein lieber Patenonkel) und die Tante klingelte auch an (kleiner Schwester meiner Mutter). Per Handy hatten sich auch ein paar (wenige) gemeldet, sonst niemand. Das Festnetztelefon ist defekt (immer Besetztzeich.). Ich drehe es direkt um: ach ist ja fast gut, sonst hättest du heute nonstop am Telefon gehangen! Meiner Mutter geht es so schlecht dass man mit ihr wie mit einem vierwochenalten Säugling beschäftigt ist. Und es ist spürbar: kaum einer hat sich gemeldet, kaum einer kam vorbei. Was wir essen wollen fragt er die Dicke und mich, der braten würde sich nicht lohnen, stand unausgesprochen in der Luft. Ein Bratwürstchen, ja wie klasse! Die Dicke und ich sprechen unabgesprochen als Team und dafür dass die Stimmung schlecht sein könnte ob der fehlenden Geburtstagsgäste, halten wir die Stimmung ohne Probleme gut hoch. Und ich merke im Laufe des Abends: damit mache ich ihm ein Geschenk: ich nehme sie so, die Situation so, wie sie sind.

ahhhhh mist, verschrieben
tbc