Samstag, 22. Dezember 2012
Statt hier zu schreiben habe ich dem Lieblingskollegen eine lange Mail geschrieben.

Meine Mutter trinkt und isst wieder, wenig, aber sie ist wieder etwas mehr aufgewacht.

Jetzt Urlaub bis nächstes Jahr.

Eine Kerze aus Jerusalem geschenkt bekommen.



Freitag, 21. Dezember 2012
Bei meiner Mutter wurden alle Medikamente abgesetzt. Anscheinend macht man das in so einer Situation so. Ich weiß es nicht, ich zwinge mich der Ärztin zu vertrauen.
Bevor die Ärztin kommt sage ich meinem Vater ganz direkt, dass ich nicht will dass meinen Mutter ins Krankenhaus kommt, voher will ich die Meinung eines Palliativmediziner hören. Vom Büro aus recherchiere ich den nächsten entsprechenden Arzt, recherchiere irgendwelche Formulare, coache meinen Vater geschickt telefonisch für das Gespräch mit der Ärztin und mache mir Sorgen ob mein Vater und die Ärztin da gleich ein gutes Gespräch führen werden. Sie führen es tatsächlich. Meine Mutter bleibt zu Hause, mein Vater bekommt Anweisungen was er ihr zu Essen und Trinken geben soll und das Feedback, dass er alles richtig mache. ok, das läuft, das läuft wirklich.
Ich steiger mich nicht in den Fakt rein, dass die Freundin meines Vaters sich dort in meinem Elternhaus schon eingenistet hat, ich behalte den Fokus auf meine Mutter. Ich bin gespannt auf morgen und die nächsten Tage, ich bin mir unsicher ob man diese krassen Medikamente einfach so absetzen kann, befürchte absolutes Megachaos im Kopf meiner Mutter, aber vielleicht war das heute wirklich die richtige Entscheidung. Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. Ich weiß einfach gar nicht was die nächsten Tage passieren wird. Ich weiß einfach gar nicht was da gerade auf uns zukommt. Und ich weiß am allerwenigsten wie ich die nächste Zeit erleben werde. Das ist so verdammt übel krass hart whatever wenn die Mutter im Sterben liegt. Ich bin kopflos. Gepaart mit pms bin ich arbeitsunfähig. Morgen noch die letzten Projekte glattziehen, irgendwie morgen noch ein letztes Mal für dieses Jahr funktionieren. Lange Telefonate mit den beiden besten Freundinnen. Ich muss keine Angst haben, die fangen mich auf. Und die anderen Freunde auch. Aber heftig ist das alles dennoch. Werde ich schon überstehen, muss man ja auch nur einmal im Leben.

Gestern zum ersten mal gehört und seitdem in Schleife: home again von michael kiwanuka



Mittwoch, 19. Dezember 2012
Die Therapie am Fuß treibt mir Tränen in die Augen. Laut schreie ich auf, zähle die Sekunden dieser Stunde und leide. Ich erzähle der Physiotherapeutin (eine junge, nette, vermutlich lesbige (!) Frau) dass ich bisher hier immer nur Fangopackungen bekommen hätte und mich immer gefragt hätte, warum die Menschen in den Kabinen nebenan so laut stöhnen würden, jetzt wüsste ich warum. Ich beiße die Zähne zusammen, lasse mir erklären was sie da genau an meinem Fuß macht und liege dabei noch recht attraktiv auf der Liege rum. Ich sehe dass sie mich genau anschaut. Sie ist süß. Vielleicht Mitte zwanzig, wenn überhaupt, kurze dunkle Haare, gestylt. Sie trägt ein T-Shirt und ich sehe ihre muskulösen Arme. Mir schießen Tränen in die Augen. Ja, das kommt von der Fehlstellung, erklärt sie mir, von der Fehlbelastung über drei Monate. Aber ich habe mich schon seit zwei Wochen nach dem Unfall bemüht normal zu gehen und ordentlich abzurollen!, versuche ich mich zu rechtfertigen. Ja, das sei auch gut, antwortet sie, sonst sei es jetzt noch schlimmer. Ich kann mir noch schlimmer nicht vorstellen und stelle den Vergleich zu üblen Zahnschmerzen. Wir schauen uns in die Augen, lachen, ich verziehe wieder vor Schmerzen mein Gesicht, ihr Blick wandert über meinen Körper und mir wird klar: ich bin mittlerweile so durchtrainiert, dass man das sogar durch Bürofummel sieht. Zwangsläufig höre ich die Gespräche in den Nachbarkabinen mit und ich möchte behaupten, dass ich ein guter Termin bin.

In meinem Fuß rumort es. Im Frühling bin ich wieder fit. Bis Frühling ist noch genug Zeit zum Auskurieren. Der nächste Frühling wird meiner. Bis dahin beiße ich noch einmal die Zähne zusammen.