In Brokkoki ist ein Stoff enthalten, der Silber anlaufen lässt. Ich konnte es an meinem großen silbernen Lieblingslöffel letzte Woche genau beobachten. Er ist richtig angelaufen, verfärbt. Habe ihn gerade aufpoliert. Das Tuch wurde schwarz. Jetzt glänzt er wieder. Wenn ich mal Langeweile oder viel Zeit haben sollte, werde ich mein komplettes Besteck aufpolieren, aber ich habe gerade nachgeschaut: dem restlichen Besteck geht es gut. Also alltägliche Lebensmittel wie Nutella oder Honig sind völlig harmlos für Silber. Wir halten das mal so fest. Rotkohl ist auch kein Problem, konnte ich gestern und heute eruieren.

Ich esse nur noch mit Silberbesteck, btw. Schweres Silberbesteck in meinen Händen. Ich liebe es. In meinem Haushalt wird den Rest meines Lebens nur noch mit Silberbesteck gegessen. Ich habe zwei Silberbestecke. Ein sehr schönes, aber nicht sehr mengenmäßig, ich glaube nur für sechs oder acht Personen und eins für große Gesellschaften, ich weiß gar nicht genau wievielteilig es ist, ich nehmen an, für zwanzig Personen oder so. Mit unzähligem Zusatzbebör wie Suppenlöffel, Tortenheber, Zangen etc.

Warum ich das Silberbesteck so sehr wertschätze? Weil "auch die Dinge haben Tränen". Letztes - oder war es sogar vorletztes Jahr - habe ich die Häuser meiner Großmütter leergeräumt. Beide hielten das "gute Besteck" nur für besondere Anlässe bereit. Ich schätze jeden Tag als besonderen Anlass. Das Leben ist zu kurz um nur die besonderen Anlässe zu feiern.

Blick nach vorn.




"Auch die Dinge haben Tränen. Ich packe das Geschirr (Zwiebelmuster) von der Großmutter meines Vaters aus. Vorsichtig nehme ich Teil für Teil aus dem Karton und falte das Zeitungspapier (alt, vergilbt) auf. Jedes einzelne Teil wird behutsam ausgepackt. Ich bin ergriffen. Viele Teller hatte die Großmutter und zwei Kannen. War eine liebe Frau, wurde mir mal erzählt. Ihre Mutter starb früh und bei der neuen Frau ihres Vaters hatte sie kein schönes Leben. Sie ging dann früh "in Anstellung", war aber wohl auch nichts Nettes. Wo die Frau den Mann dann kennengelernt hat und so weiter, weiß ich nicht. Ich kann auch nicht mehr mit Oma in der Küche sitzen und mir was erzählen lassen. Wahrscheinlich war ich heute zum letzten Mal in dem Haus.

Auch die Dinge haben Tränen. Ich habe ein paar Teile eingepackt.


Und dann sitze ich in meinem Wohnzimmer. Habe mir einen Single Malt eingeschüttet. Nehme Timm, Der Freund und der Fremde aus dem Regal, schaue auf die Fundstücke und lese, was er geschrieben hat, dazu, dass auch die Dinge Tränen haben.



Und dann spüre ich Reichtum; wie reich ich bin, dass ich da so mit Glas und Buch in der Hand, die Dinge vor mir liegend und mich hineinversetzend, in den Satz, über die Dinge und die Tränen. Es greift dort, wo man auch was empfindet, wenn man gute Musik hört oder macht, man sich eine Kunstausstellung anschaut, von einem Bild ergriffen ist....

Aber ich bin auf dem Sprung. Lebben geht weita. Bin zum Essen eingeladen, von einer lieben Frau."

aus: carlie, Januar 2010