Ich will darüber schreiben, wie ich musizieren gelernt habe zu erleben, aber ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Bei jedem Versuch anzufangen genau das zu beschreiben, erwische ich mich bei einem Vorwurf meinen Eltern gegenüber. Dabei kann ich ihnen keinen Vorwurf machen. Meine Eltern können nichtmals Noten lesen. Und trotzdem haben sie es geschafft, mir die Option zu geben zu musizieren. Ich weiß nicht wie ich anfangen soll. Ich beginne einfach mittendrin.
Mittendrin. Ich werde nie das Gefühl vergessen mittendrin zu sein. Ich spielte immer die zweite Geige. Die zweite Geige ist nicht schlecht, auch wenn sich das zuerst liest wie "oh, nicht die Erste". Die zweite Geige ist klasse. Man sitzt mittendrin. Rechts die Ersten, links die Bratschen und man bekommt auch noch gut die Celli mit. (Also mit zweite Geige meine ich jetzt die zweite Stimme. Ist wahrscheinlich im Orchesterjargon nicht so.)
Mittendrin spielen. Hören wie die Erste spielt, einsetzen, mal ganz vorsichtig, mal ganz stark. Und dann kommen die Bratschen (OT gibt übrigens gute Bratschenwitze, bringe ich ein anderes Mal) und spätestens dann setzen die Celli ein. Es ist so herrlich! Es ist so herrlich ein Teil der Musik zu sein. Du spürst wie du wann einsetzen muss. Jeder Bogenstrich mit ganz viel Gefühl. Ich habe es geliebt.
Mittwochs Abends war immer Orchester. Ich bin immer hingegangen, auch wenn ich keine Lust hatte. Auch wenn es mir schlecht ging. Danach ging es mir immer gut, und das wusste ich. Komplett abtauchen in der Musik. Ich war jugendlich. Das war mein Zufluchtsort. Ich habe es noch genau vor Augen und genau in den Ohren. Ich habe es geliebt, dieses muszieren mit anderen. Dieses die Töne in der richtigen Form zum richtigen Zeitpunkt richtig reinzubringen. So filigran. Ich war in den ersten Cello verliebt. Er war aber auch einfach klasse. Ich habe ihn neulich irgendwann gegoogelt. Er spielt jetzt in einer Band in Berlin. Er spielt kein Cello mehr.
Ich möchte darüber schreiben, wie gut das Orchester war in dem ich damals spielte und auch darüber wie ich in einem sehr guten Chor gesungen habe und dann auch noch darüber, dass mein Vater mir vor ein zwei Jaren ohne mit der Wimper zu zucken das Akkordeon gekauft hat und dass ich ihm heute gesagt habe, dass ich eigentlich mal wieder eine Gitarre gebrauchen könnte, und dass er gar nciht weiß, dass ich die Akkorde für Lagerfeuermusik selbstverständlich auf der Gitarre spielen kann, obwoh ich nie eine besessen habe. Aber es verdammt schwer zu beschreiben, wie ergreifend muzieren ist. Aber immerhin habe ich heute damit angefangen.
Schön, wie Sie die Sache mit den Zweiten Geigen beschreiben. Dass man von dieser Position aus den kompletten Orchesterklang am besten wahrnehmen kann und gut eingebettet ist. Übrigens ist auch im Orchesterjargon die Zweite Geige die korrekte Bezeichnung für die zweite Stimme der Violinen. Und keiner im Orchester macht sich über die Zweiten Geigen lustig. Dafür haben wir ja die Bratschen, wie Sie ganz richtig bemerken. ;) Wobei auch die Bratschen eine akustisch vorteilhalfte Platzierung im Orchester haben. Außerdem haben die ja nicht so viel zu tun (harhar) wie die Zweiten Geigen, also viel mehr Zeit und Muße, den Gesamtklang zu genießen.
Nochmal zur Umgangssprache zurück. Ich finde ja, man sollte die Menschheit missionieren und aufklären dahingehend, dass derjenige, den etwa 80% den Ersten Geiger nennen, in Wahrheit der Konzertmeister ist und dass die Ersten Geigen die Gruppe von Geigern ist, die fächerartig hinter dem Konzertmeister sitzt.