Ich habe in meiner Kammer zufällig den Stoffbeutel gefunden, den meine Mutter früher immer nutzte. Sie kennen diese Stoffbeutel die in allen Ecken lauern. Die die man kauft, wenn man keine Tasche dabei hat und ein spontanes Öko-Bedürfnis hat. In unserer Familie gibt es unzählige Stoffbeutel. Sie werden sogar gewaschen, gebügelt und dann gefalten im Schrank in der Küche, im Handschuhfach im Auto und an anderen Stellen deponiert, für den Fall, dass man mal keine Tasche dabei hat.
Meine Mutter ging immer mit ihrer Aktentasche zur Arbeit. Hört sich seltsam an, war aber wirklich eine klassische Aktentasche. Dunkelbraunes Leder von der Nobeltaschenmarke, die nur dieses dunkelbraune Leder verarbeitet. Diese Brücke, Sie wissen schon. Sie hat davon auch eine klassische Handtasche, btw. Geschenke die mein Vater ihr im Laufe der Jahre gemacht hat. Zu Weihnachten, zum Geburtstag. Immer von Feinsten. Mein Vater hat meine Mutter immer vom Feinsten beschenkt. Es waren immer edle Geschenke, Geschenke fürs Leben oder wenigsten von langer Dauer. Ich weiß nicht wie viele Jahre es mittlerweile her ist, dass meine Mutter von der Arbeit kam, fein gekleidet, die edle Aktentasche in der Hand, ums Handgelenk den Stoffbeutel gebunden, irgendwie vollbepackt den Schlüssel in die Tür stecke und reinkam. Ich weiß auch mittlerweile nicht mehr, wie lange es her ist, dass meine Mutter Schmuck trug. Zwei drei Jahre vielleicht. Einiges ging wegen der Krankheit verloren, ein paar Sachen hat mein Vater gerettet. Ich nehme an er rettete den Ehering, der Ehering: schlichter wie es nicht geht, Weißgold, mit Gravur innen. Ich weiß er hat den Brilliantring zur Seite gelegt. Wieder Weißgold, wieder ganz schlicht. Er schenkte ihr ihn mit einem Brillianten, klein, aber besonderer Schliff und bei jeden größeren Anlass in den all den Jahren, entwandte er ihr ihn und ließ einen weiteren Stein einarbeiten. Ich weiß auch, die Perlenohrstecker, kleine Perlen, sind der Krankheit zum Opfer gefallen. Einen anderen Ring hat mein Vater irgendwo mal im Dreck gefunden. Auch relativ schlicht, auch mit Brillis. Er ging mit dem Stück zum Juwelier und erzählte seine alte Tante hätte ihm den Ring überlassen, er können gar nicht einschätzen was das für ein Ring und was das für eingarbeitete Steine wären. Weißgold mit sechs Brillianten. Er ließ aufpolieren und schenke ihn meiner Mutter. Ein weiteres Schmuckstück schenkte mir meine Mutter noch bewusst. Es ist der Ehering ihres Großvaters den mein Vater in eine Brosche verarbeiten ließ. Feine, edle, schlichte Brosche, natürlich in - Sie erraten es! - Weißgold.
Irgendwann in Berlin kaufte meine Mutter im KaDeWe ein. Ich weiß gar nicht ob es das noch gibt. Sie bekam irgendwie diese Stofftasche, schwarz, mit dunekblauen und weißen kleinen Quadraten und von da an war das ihre Stofftasche. Sie trug darin kleine Einkäufe die sie nach der Arbeit machte. Sie mochte die Tasche gerne, da sie kurze Henkel hatte und somit bei ihrer kleinen Körpergröße nicht auf dem Boden schliff und weil sie so schön schlicht war.
Ob ich meine Mutter hier verherrliche in all den Jahren Erinnerungen aufschreiben, sie ausführlich beschreiben, das frage ich mich gerade. Ob ich sie durch das Aufschreibe verherrliche. Und auch die Beziehung meiner Eltern.
Ich will festhalten. Ganz einfach egoistisch für mich, weil meine Mutter immer mehr geht, zergeht, stirbt und dann wird sie weg sein, für den Rest meines Lebens. Wenn ich noch Kinder bekommen sollte, werden sie sie nur aus Erzählungen kennen. Wenn es irgendwann Momente geben wird in denen ich mit ihr sprechen möchte, von ihr in den Arm genommen werden möchte, wird das nicht mehr möglich sein. Und genau genommen erlebe ich diese Momente jetzt schon. Aber irgendwie schaffe ich das, irgendwie bin ich in der Hinsicht realistisch und dazu unendlich dankbar, dass ich dann andere Menschen anrufen oder mich in den Arm nehmen lassen kann.
Der andere Punkt ist der, dass ich finde, sie hat es verdient, dass man ihr Leben erzählt. Es gibt niemanden sonst der sie aufschreiben würde.
Vielleicht verherrliche ich oder vielmehr: vielleicht blende ich Schlechtes aus. Aber was solls. Letzten Endes ist das wahrscheinlich irgendein normaler Trauerprozess den man eine Zeit lang durch macht, wenn jemand, der einem am Herzen liegt, stirbt. Ist halt nur so heftig weil sich das über Jahre erstreckt. Abschied auf Raten halt.