Innerhalb weniger Minuten von einem Extrem in genau das gegensätzliche Extrem gejagt zu werden, ist heftig, haut einen um. Und ich machte mir kurz einen Vorwurf dass ich das selbst verursacht hatte, aber das heftige Gefühl der Gegensätzlichkeit lenkte mich von Selbstvorwürfen ab.
Irgendwie schaffe ich es vor sechs Feierabend zu machen. Jetzt nicht direkt nach Hause fahren, den frühen Feierabend irgendwie nutzen. Ich besuche spontan die Freunde mit den Kindern. Mal ausnahmsweise so früh die Freunde besuchen, dass ich die Kinder noch mitbekomme da sie noch nicht schlafen. Die Freundin freut sich, hängt draußen in der Sackgasse mit den Kindern und der Nachbarin ab, beide umarmen mich herzlich. Die Jungs spielen mit Stöcken und ich gebe mich als Stockprofi aus und probiere beide Stöcke. Das kleine Mädchen auf dem Arm der Freundin ist noch zu klein um mit den Jungs mit den Stöcken zu spielen aber sie traut sich endlich mich anzulächeln und begutachtet mich genaustens. Schließlich gehen wir rein, ich verspreche dem kleinen Jungen noch den Stock da vorne an der Treppe zu verstecken, für morgen. Selbstverständlich handelt es sich um einen besonderen Stock. Während die Freundin die Kinder aus- und umzieht räume ich draußen auf, nehme die verschiedenen Getränke mit rein, frage noch wer den Apfel gegessen hat "Die Mama", antwortet der kleinen Mann und stürme drinnen mit den Kindern die Kinderküche. Wir kochen Babybrei für die kleine Schwester und ich habe Probleme der Prinzessin die Hausschuhe anzuziehen. Irgendwann kommt endlich der Papa nach Hause und beide Kinder umstürmen ihn. Ich weiß, er hat mindestens einen solchen Scheißtag wie ich in der Firma hinter sich und ich checke: hier kommt sein Ausgleich. Wir sitzen beim Essen zusammen und der kleine Mann muss unbedingt mit mir den Hähnchenbollen teilen. Vorwurfsvoll sagt er mir, er hätte keine Gabel. "Wir essen heute mit den Fingern", antworten die Eltern, doch ich unterstütze natürlich dass das Kind mit Messer und Gabel essen will und springe auf und besorgen die Gabel. Wir flirten beim Essen ein bißchen rum, sitzen nebeneinander. Ich preise ihm die Kartoffeln an, doch er mag nicht probieren. Muss er laut Eltern auch nicht. Hallo? Ich finde man solle ein Kind dennoch animieren etwas zu probieren. Letztendlich muss ich mir seine Kohlenhydrate reinziehen. (Ich esse keine Kohlenhydrate). Nach dem Essen kommt der Opi spontan vorbei und wir toben auf der Couch. Ich bin ein bißchen aussenstehend, Papi und Opi sind jetzt die Nummern eins. Opi bewirft das kleine Mächen mit Kissen, sie weint nicht, sie lacht, und mir wird klar: sie ist jetzt schon endcool und sie wird noch cooler im Laufe der Jahre, denn sie hat einen großen Bruder. Der Sandmann wirft uns Sand ins Auge und als alle ins Bett gehen, verabschiede ich mich.
Die Freunde mit den Kindern wohnen gute fünfzehn Minuten von meinem Elternhaus entfernt. Sie wohnen "im Ort", quasi eine Siedlung weiter als die Siedlung in der mein Elternhaus steht. Dort, wo die aus meiner Siedlung einkaufen gehen. Dort wo die Kirche steht in deren Umfeld sich meine Eltern kennengelernt haben (Elternhaus meines Vater eine weitere Siedlung weiter), dort wo ich als Jugendliche "abgehangen" habe, aber das sind andere Geschichten.
Der Sandmann ist vorbei, es muss irgendwas um neunezehn Uhr sein. Ich klingel kurz an meinem Elternhaus und gehe mit Schlüssel rein. Betrete die Eingangshalle (ok, leicht übertrieben, aber nicht zu sehr) gehe weiter ins Esszimmer, meine Mutter sitzt da in ihrem Rollstuhl, weit und breit keine andere Person zu sehen. Ich umarme sie, schmuse sie, spreche sie an. Keine Reaktion. In dem Moment als mir die Tränen in die Augen schießen kommt mein Vater aus der Küche und freut sich mich zu sehen. Ich schaffe es ihn anzustrahlen und die Tränen komplett zu unterdrücken. Ich weiß: diese Männer, dieser Generation, die, die wenigstens eine Tochter haben, für die ist es das Höchste, wenn die geliebte Tochter wenigstens glücklich ist. Den Väter meiner besten Freundinnen geht es nicht anders, sie haben vielleicht keine schwerkranke Frau, aber sie sind mindestens genauso frustiert und wir können für sie nichts anderes mehr tun als ihnen zu zeigen: deiner Lieblingstochter gehts gut!
Meine Mutter hängt also auf halb-acht im Rollstuhl und ich umarme meinen in der Küche kochenden Vater.
Mein Herz zerreißt sich. Gerade noch diese lebhafte Bude mit dem kleinen Mächen was seit Sonntag richtig laufen kann und dem kleinen Mann mit dem man - wahrscheinlich auch seit Sonntag - nun bestens unterhalten kann, diese Lebhaftigkeit und nun mitten in der kleinen Villa, in der man versucht das beste aus der Situation zu machen. Die Situation dass da jemand auf den Tod wartet.
Oh, wo hast du denn den schönen Blumenstrauss auf dem Tisch her?, frage ich meinen Vater. Ich habe lange keinen schönen Blumenstrauss mehr in meinem Elternhaus gesehen. Früher jeden Samstag. Männer die Blumen schenken, haben ein schlechtes Gewissen, sagt man. Er hat sie mitgebracht und der lieben Pflegefrau geschenkt, erklärt er mir, damit mal ein bißchen was Schönes in diesem tristens Dasein auf dem Tisch steht. Sie sei ihm dafür um den Hals gefallen, berichtet er mir.
Ich habe schon gegessen, ich kümmere mich um Mama, erkläre ich als das Essen fertig ist. Ich nehme gefühlte eine Mio Anläufe um meiner Mutter diskret zu erklären dass ich da bin und dass sie mir bitte was sagen soll, egal was, bitte einfach nur ein Zeichen. Mama, ich bin das, [mein Name], ich bin deine Tochter. Ich animieren meinen Vater sie auf mich anzusprechen und ich glaube sie erkennt mich. Ich füttere sie und die liebe Pflegefrau B hat quasi frei. Nebenbei ziehe ich mir ein Bierchen rein. Mein Vater und B beobachten genau ob ich das alles richtig mache mit dem Füttern und ich bin fast angekotzt weil meine Mutter mir doch gesagt hatte, damals, als sie noch sprechen konnte, dass ich in ihrem Leben ihre engste Verbündete sei. Ich versuche es nicht an mich ranzulassen dass beide mich beobachten und begutachten und mache mit meiner Mutter Witze als ich kleckere.
Und alles tut weh, jede Zelle schmerzt und mir wird klar: ich werde auch immer weniger ihre Stimme hören, ich bekomme immer weniger Reaktion und ich würde so viel darum geben wenigstens einen Satz von ihr zu hören, oder wenigstens ein Wort, irgendwas. Aber mir wird klar: da kommt nichts mehr, außer dass sie versucht die Augen aufzureißen und dass sie versucht mir irgendein Zeichen zu geben, meine Hand zu drücken oder whatever, aber sie kann nicht mehr. Es tut so weh. Wir hatten das doch so gut abgesprochen,damals, als die Diagnose kam, dass mit dem Zeichen geben und so. Und sie sagte mir damals, es täte ihr so leid für mich, denn sie würde das dann alles gar nicht mehr mitbekommen aber mir würde es dann so weh tun werden.
Die Kinder waren recht müde. Der kleine Mann hatte keinen Mittagsschlaf gemacht. Ich hoffe die Kinder schliefen gut ein und die Freunde haben einen schönen Feierabend.
Ich erzählte meinem Vater von dem Kontrast. Ja so ist das, sagte er, manches Leben geht zu Ende, anderes beginnt.
(Sprachlich oberschlecht runtergeschrieben, sry an die Leser, mag heute nicht mehr ausbessern, bitte nicht fertig geschrieben Worte oder Sätze einfach gedanklich hinzufügen)
"Different thoughts are good for me"