Die beste Freundin meiner Mutter hat heute Geburtstag. Fünfundsechzig. Sie ist ein paar Monate älter als meine Mutter. Ich weiß nicht genau wie groß sie feiert - richtig groß anscheinend nicht, sonst hätte ich das mitbekommen. Aber auch wenn sie den Tag oder Abend in kleiner Runde verbringt, weiß ich, dass ihr meiner Mutter in dieser Runde fehlt. Ich habe ihr gerade eine Nachricht geschickt. Und jetzt fällt mir ein, dass das vllt gar nicht so gut war, weil ich sie jetzt vllt daran erinnere, dass meine Mutter nicht da ist. Dass ihre beste Freundin schwer krank ist und wegstirbt. Sicherlich hat sie heute an meine Mutter gedacht, aber vllt --------diese Sätze führen zu nichts---------

Sie lernten sich damals kennen als sie beide frisch verheieratet waren. Sie wohnten beide im selben Haus, bezogen die Wohnungen dort im selben Jahr, zwei junge Pärchen, frisch verheiratet. Ich weiß sogar die Adresse. Unten im Haus war eine Kneipe. Ich werde einen Abstecher dorthin machen, wenn ich übernächste Woche in dieser Stadt bin, beschließe ich gerade. Ich kann mich sehr gut in Ruhrpottkneipen alleine an den Tresen setzen und Pils kommen lassen. Ich kann überhaupt so viel so gut mittlerweile gut. Aber das ist ein anderes Thema.

Sie wohnten zusammen in diesem Haus, meine Eltern frisch verheiratet erstes oder zweites Obergeschoss, dieses andere Ehepaar ganz oben, meine ich aus Erzählungen zu wissen. Aus Erzählungen meiner Mutter kenne ich eine Situation, die es damals gab, wann war das, Mitte der Siebziger, vllt auch Anfang der Siebziger. Einer meiner Eltern hatte Geburtstag und die Verwandtschaft war zu Besuch. Diese Nachbarn natürlich auch. Die neue Freundin meiner Mutter ging an den Schrank um noch einen Teller rauszunehmen und entweder war es die Mutter oder die Schwiegermutter meiner Mutter die da hinterher anmerkte, dass das doch nicht in Ordnung sei, dass diese Frau da einfach an ihre Schränke ginge.

Doch, genau das ist das was die Freundschaft zwischen diesen beiden Frauen war, von Anfang an: jede darf bei der anderen einfach an den Schrank gehen. Und nach all den Jahren, nach den Kindern, nach all den Sorgen, nach all den Ehedramen, nach all den Verzweifelungen, nach all den Feiern, nach all dem ganzen Leben war es genau das, dass eben jede bei der anderen in den Schränken war. Das waren Freundinnen. Jeden kannte den Inhalt der Schränke der anderen.

Und ich erinnere mich an eine Situation vor ein zwei Jahren, wahrscheinlich ist es tatsächlich schon zwei Jahre her. Diese Freunde waren bei meinen Eltern zu Besuch. Wahrscheinlich war es ein Sonntag. Meiner Mutter war schon sehr erkrankt. Ich meine sie erkannte die Freundin noch so gerade eben. Die Freundin versuchte sich bei diesem Besuch um meine Mutter zu kümmern, lief mit ihr zusammen rum. (Als meine Mutter noch rumlaufen konnte lief sie ohne Ende, das gehört zu der Erkrankung, dieses Rumlaufen, dieses Suchen nach Orientierung). Und beim Rumlaufen sagte sie zu ihr: wir haben so viel zusammen erlebt, oh wir haben so viel Spaß zusammen gehabt, ich erzähle dir davon....

Draußen am Auto beim Verabschieden weinte sie. Sie versuchte die Tränen zurückzuhalten, aber sie konnte nicht. Ich glaube sie kann einschätzen wie sehr schlimm das für mich alles ist. Und deswegen hoffe ich dass meine Nachricht gerade an sie nicht das Gegenteil zu einem schönen Geburtstagsabend bewirkte, ich hoffe sie weint jetzt nicht (so wie ich) aber wahrscheinlich doch, weil ich ihr Leid tue weil sie sich denkt: woher nimmt das Mädchen ncoh die Kraft eine so liebe Nachricht zum Geb zu schicken.


Die beste Freundin meiner Mutter hat heute Geburtstag. Fünfundsechszig. Zwei beste Freundinnen. Und eine bekommt es nicht mehr mit. Und das ist meine Mutter. Es tut mir weh und ich denke mir, es ist ok wenn ich dafür weine und wenn es nicht so schlimm wäre hätte ich auch einen guten Text darüber geschrieben.

Tränen. Und bald diese Frau treffen. Und feste umarmen.

Aber jetzt erst mal wieder den Atem finden.