Ich habe das Kind für morgen eingeladen. Das Kind ist mittlerweile zwanzig. Sie macht zurzeit nichts, ich bin mir nicht mal sicher ob sie einen Schulabschluss bekommen hat. Was mache ich mit ihr? Eine Runde abhängen, eine Runde quatschen, mir eine Überblick über den Stand der Dinge machen. Vielleicht einen Lebenslauf schreiben damit sie mal irgendwas in der Hand hat. Aber ich muss das Treffen irgendwie vorbereiten, meine ich. Irgendwie erst was zusammen unternehmen oder so. Keine Ahnung. Sie kommt dooferweise erst um drei (ich hatte eins oder zwei oder drei angeboten) und ich muss um sechs zum Psychomann auf die Couch. Ich muss mir auch noch irgendwas überlegen was ich ihr sage wo ich noch hin muss. Sie kann sowas nicht einordnen. Sie ist behindert. Naja, ich werde das schon irgendwie wuppen. Ich werde schon hinbekommen dass das irgendwie gut wird. Oh man, Mama, was für ein schweres Erbe, was für eine schwere Verantwortung hast du mir da überlassen. Meine Mutter würde jetzt sagen:
lass es mal einfach auf dich zukommen. Sie liebt dich doch sehr und hört genau hin was du sagst. Und du bist doch gut, du wirst das richtige mit ihr machen, weil du das kannst. Warte mal ab. Hauptsache du hast sie erst mal eingeladen und hälst den Kontakt aufrecht, wird schon, da bin ich mir ganz sicher.




Das Kind war da und es war gut. Sie fing direkt an zu erzählen was sie zu Hause ankotzt. Ihre Zähne verfaulen. Was ist mit deinem Zahn, tut das weh? Einer der Frontzähne ist schwärzer als die anderen. Jein. Ihre Mutter will einen Termin beim Zahnarzt machen, macht es aber nicht. Sie würde ja selbst einen Termin machen, hat aber Angst dass wenn sie alleine dahingeht, nicht alles versteht was der Zahnarzt sagt. (Sie ist stark hörbehindert.) Ok, sag deiner Mutter nochmal sie soll einen Termin machen, wenn sie keinen macht, mach du einen selbst, ich kann dann mitkommen. Ich kann dann einfach auf der Arbeit Pause machen. Aber du arbeitest an der Uni und der Zahnarzt ist in der Stadt! Macht nichts. Ich fahre dann schnell mit dem Auto.
Wir holen uns erst mal was zu essen. Sie verdreht die Augen als ich ein (Leicht-)Bier aufmache. Ich trinke das Bier nicht auf weil es mich zu müde macht und schwenke auf Tee um. Wir reden, erzählen. Sie lacht mich aus weil ich noch keinen Mann habe und schon so alt bin. Sie erzählt mir von ihrem neuen Freund. Später frage ich nach wie lange sie schon zusammen sind. Drei Wochen. Einmal gesehen. Er sei seltsam, sagt sie. Manchmal verstünde sie nicht was er sagt, das sei komisch. Er ist auch irgendwie behindert, sie weiß aber nicht genau was. Unser komplettes Gespräch ist furchtbar absurd aber von Herzen her sind wir im Einklang. Sie erzählt dass sie einen Praktikumsplatz ab September hat. Sie hat eine andere Stelle angeboten bekommen, Ausbildung als Verkäuferin, aber das sei nichts, das sei von morgens bis abends. Sie will sich die langen blonden Haare an den Spitzen pink färben, aber es gibt in keinem Geschäft pinke Haarfarbe. Endlich kann ich meine Kompetenzen als Tante einspielen und finde binnen weniger Minuten einen Laden in unserer Stadt in dem es [hier Marke der kleinen Pöttchen knalliger Haarfarben einfügen] gibt. Spontan fahren wir dorthin und kaufen für sechs euro endlich die pinke Haarfarbe. Kind glücklich. Ich glücklich. Weil ich begriffen haben, dass ich nicht die Mutter, nicht die Arbeitsvermittlerein, nicht die Lehrerin sondern einfach nur die Tante bin. Und coole Tanten wissen über knallige Haarfarben und Läden in denen es sowas zu kaufen gibt. Job done.