Ich habe die Abstellkammer etwas aufgeräumt, habe mal in den Keller geschaut (sieht gar nicht so wüst dort aus wie es erwartete. Scheint daran zu liegen, dass ich dort ja vor ein paar Monaten schon mal eine riesige Entrümpelungsaktion gestartet habe. Mir ist dann neulich übrigens einfallen, dass ich in dem Zuge aus Versehen meinen auseinandergebauten Schreibtisch weggeworfen habe. Das ärgert mich sehr, aber nun gut, ich kann es nicht rückgängig machen), habe das Bad aufwendig renoviert und hinterher alles gereinigt. Im Hintergrund lief Radio, mal ein gutes Lied, mal ein schlechtes Lied, mal ein interessanter Beitrag, mal ein Beitrag der mich nicht interessierte - wie das halt mit Radio so ist.
Beim Streichen im Bad fiel mir ein warum ich sowas gerne und auch ziemlich gut mache: es ist auch ein Heimatgefühl für mich, ähnlich wie Fußball. Der Geruch von staubigen Putz, von Terpentin und Farbe, das alles erinnert mich sehr an meine Kindheit. Wenn mein Vater samstags (oder Karfreitags - wir sind katholisch) irgendwas im Haus rumwerkelte (ich bin auf einer Dauerbaustelle aufgewachsen), war ich immer dabei. Ich sah ihn ja sonst kaum. Ich unterhielt ihn, schaute ihm stundenlang auf die Hände, beobachtete jeden Handgriff und er zeigte und erklärte mir zwischendurch was und ich durfte dann auch mal was auch immer ausprobieren. Als ich acht Jahre alt war baute er mir einen der Dachböden für ein Zimmer für mich aus. Ich lernte schon mit acht Jahren wie man eine Bohrmaschine bedient. Die kleine, organgene Bohrmaschine.
Zwischendurch lag ich heute kurz auf dem Sofa. Ich lag da mit Blick aus dem Fenster, im Hintergrund lief im Radio Grönemeyer, ich ließ all die Eindrücke, Begegnungen, Gespräche, geschriebene und gelesene Zeilen durch meinen Kopf wandern und plötzlich liefen Tränen. Es war nicht, dass ich traurig war, vielmehr überwältigt, ein "alles ein bißchen viel". Da war dieser tolle Trip in den Norden mit den unzähligen intererssanten Gesprächen, diese dabei entstandene neue Freundschaft - ich zögere kurz das Wort Freundschaft zu schreiben. Es ist jemand aus der Firma der ziemlich weit oben steht. Wir haben uns dermaßen gut verstanden und so gute Gespräche geführt - das ist mehr als ein netter, wichtiger, neuer Kontakt in meinem Netzwerk. Ich glaube er würde es befürworten wenn ich das den Beginn einer Freundschaft beschreibe.
Dann dieses krasse Gespräch mit meinem Chef, bei dem völlig klar am Ende war, dass ich eine Stufe höher rutschen werde in der nächsten Zeit und dass ich mir fast was aussuchen darf wie und was ich in der Firma machen werde. Und dass die Kollegin rausgekickt wird. Ich habe da was angestoßen was für mich im Augenblick genau der richtige Schritt ist: beruflich weiterkommen und einfordern, dass meine Leistung honoriert wird (jetzt generell, nicht finanziell). Ich habe wirklich richtig gute Leistung in den letzten Jahren dort und besonders in den letzten Monaten gebracht. Jetzt, wo ich an dem Punkt bin, dass mir klar, dass ich wahrscheinlich wenn überhaupt (hoffentlich!) eher eine "alte" Mutter werde, möchte ich zusehen, dass ich dann schon beruflich gut aufgestellt bin. Meine Überlegung ist die: wenn ich in ein paar Jahren wegen Kinder beruflich kürzer trete, muss ich bis dahin schon ein bestimmtes Level erreicht haben, denn zu dem Familienzeitpunkt werde ich wohl ein paar Jahre beruflich stagnieren. Für mich scheint es völlig plausibel dass ich dann jetzt wo eh kein Mann und nichts in Sicht ist, mich einfach beruflich weiterentwickel. Und ich trenne gar nicht so stark zw beruflich und privat. Das ist doch eine generelle Weiterentwicklung. Wie krass reflektiere ich mich auf meiner Fortbildung!
Nun denn, jedenfalls finde ich es einerseits gut, dass ich beruflich gerade recht selbstbewusst agiere und ich finde auch gut, wie klar und deutlich ich gestern meinem Chef meine Sichtweise und Perspektiven aufgezeigt habe und natürlich freut es mich sehr, dass er (und die Firma) mich unbedingt halten wollen. Ich bin gerade auf dem Gewinnerzweig.
Und wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer. Und mein Gespräch gestern, hat meine Kollegin auf den Verliererzweig geschoben. Und das tut mir auch auf irgendeine Weise leid. Mein Chef und ich überlegten gemeinsam, auf welche andere Postion wir sie im Unternehmen unterbringen könnten. Ich hatte natürlich schon vorab scharf nachgedacht und ein paar vakante Stellen vorgeschlagen, aber er sagte durch die Blume, dass das Team für meine Stellenidee Nr. eins sie nicht haben wollen und dass sie keine ausreichenden Kompetenzen für meine Stellenidee zwei hat (ok, das war mir klar, aber ich gehe eh davon aus dass das eine Stelle ist, die auf lange Sicht degradiert wird..). Als er was von "Unternehmen verlassen" sagte, schluckte ich. Diese Frau wird keine Stelle in einem anderen Unternehmen finden. Jedenfalls nicht auf diesem jetztigen Niveau. Sie wird sang- und klanglos untergehen. Klar kotzt sie mich an, klar ist sie gehässig, aber sie kann fast nichts dazu. Sie ist einfach ein richtig armes Mädchen. Sie hat null Kompetenzen um mit sich selbst auf hohem Niveau umzugehen. Ihr inneres Kind ist stark verängstigt und extrem misstrauisch. Sie kompensiert mit Perfektionismus. Und dass dieser Mensch jetzt ein ernsthaftes Problem bekommt, habe ich gestern angestoßen. Ich habe dem Chef das gegenüber kurz angemerkt und er bestärkte mich darin, auf mich zu schauen, nicht auf andere. Dass ich für mich und nicht für andere verantwortlich bin. Dass ich schauen muss dass es mir gut geht und wenn es mir auf Dauer mit ihr (wir sind in unserem Büro nun mal nur zu zweit plus halbe dritte Kraft) nicht gut geht, ist das völlig ok wenn ich das sage und darauf meine Konsequenzen ziehe. Ich habe ihm auch gesagt, dass so ein Mensch locker in einem zehn-Mann-Team mitlaufen kann, eine Gruppe kann so jemanden auffangen, aber ich alleine schaffe das nicht auf Dauer. Bei dem verzweifelten inneren Kind können Sie sich vorstellen, was ich für Kümmer-Leistung tagtäglich erbringen muss um die Stimmung einigermaßen aufrecht erhalten zu können. Und ich habe ihm auch gesagt, dass ich weiß dass sie im Herzen lieb ist, dass ich beispielsweise morgens weinend ankommen könnte weil es meiner Mutter schlechter geht und sie würde mich sofort in den Arm nehmen und mir einen frischen Kaffee bringen, "aber ich bin hier zum arbeiten, nicht um getröstet zu werden". Ich war wirklich krass professionell in dem Gespräch.
Und jetzt frage ich mich wie so oft: wie viel Verantwortung für andere muss man übernehmen, wenn man stark ist? Und wenn es so ist, dass man von seiner Stärke Schwächeren was abgeben soll, dann an wen? An eine fremde Frau die da zufälligerweise meine Arbeitskollegin seit zwei Jahren ist oder mehr an Freundinnen die gerade am zusammenbrechen sind oder an meine Nichte, dieses gehörlose Mächen von zwanzig Jahren was weder Schulabschluss noch Ausbildungsplatz noch eine Mutter hat, die in der Lage ist sich um sie zu kümmern? Und nachdem die Frage des "wen unterstützen" gestellt ist, kommt die nächste Frage: wie viel Unterstützung? Das Kind beispielsweise hat die Zähne verfault und ich sagte ihr, sie müsse zum Zahnarzt gehen, sie sei doch so hübsch mit ihren gr blauen Augen und den langen blonden Haaren, das sei doch Mist wenn sie dann lächelt und man verfaulte Zähne sieht. Ja, ihre Mama will schon seit Wochen einen Termin beim Zahnarzt machen, macht es aber nicht. Sie traut sich nicht selbst einen Termin zu machen weil sie Angst hat, dass ihre Mutter sie dann beim Termin nicht begleitet und sie alleine nicht versteht, was der Zahnarzt ihr sagt. Meine Reaktion war anders, als meine Reaktionen früher. Früher hätte ich gesagt, dass ich den Termin dann jetzt einfach mache und dann mitkomme und da muss was passieren usw. Dieses mal war ich besser: ich schlug ihr vor dass sie einen Termin ausmacht und wenn ihre Mama nicht mitkommt dann zum Termin, ich mitkommen kann, da ich ganz flexibel Pause auf der Arbeit machen kann. Sie solle sich um einen Termin kümmern. Ich fand das gut von mir, ich fand das für mich weiterentwickelt. Dieses nicht direkt in die komplette Verantwortung an sich reißen sondern lediglich ein Angebot zur Unterstützung machen, wenn sie selbst sich schon um den ersten Schritt gekümmert hat.
Und das ist auch eine Wahrheit in dem Saftladen: es wäre völlig ok, wenn ich zwischendurch ein oder auch zwei Stunden zwischendurch aus dem Büro abhauen würde, um meine Nicht zum Zahnarzt zu begleiten. Es würde nichtmals darüber diskutiert. Ich kann in diesem Unternehmen einfach vom Schreibtisch aufstehen und sagen, dass ich mal eben ein zwei Stunden wegmüsse wegen was wichtigem Privates. Und das habe ich dem Chef auch gesagt, dass ich das sehr schätze, trotz all dem Scheiß der da abgeht, dass wirklich wichtige private Dinge stets ermöglicht werden. Ich werde dem Saftladen (und das ist dann in Person die Frau Geschäftsleitung ganz oben) nie vergessen, dass ich zu finanziell wirklich guten Bedingungen meine Stelle damals reduzieren konnte um meine Mutter mitzupflegen und Zeit mir ihr zu verbringen. Ich werde mich zum gegebenen Zeitpunkt nochmal explizit bei der Frau Geschäftsleitung nochmal dafür bedanken, denn jetzt im Nachhinein weiß ich, wie viel Gold diese Stunden mit meiner Mutter wert für mich sind.