Mittwoch, 4. April 2012
Fünf Jahr Saftladen ist übrigens auch gleich fünf Jahre Diagnose Alzheimer. Das war der Grund warum ich den Job in dem Saftladen hier in der Nähe angenommen habe. Das war der einzige Grund.

Ich habe mir was Neues überlegt. Ich denk mich nicht mehr rein. Ich stoppe die Gedanken einfach. Ich ziehe das seit Freitag durch und es läuft. Ich mache Sudoku, gehe raus, treffe Mensche, arbeite, plane Urlaub, schaue Fussball, und trinke Bier - wie sonst auch. Ich habe begriffen, es hilft und heilt nicht wenn ich mich reindenke, es ändert nichts. Mir gehts dann nur schlechter. Ich kann doch einfach nicht mehr. Und eigentlich hat auch niemand erwartet, dass ich mich kaputt mache.



Ich habe gestern eine Frau kennengelernt, die mir nicht aus dem Kopf geht.
Sie ist Mitte/Ende vierzig, sieht gut aus, eine schöne Frau, klein und zierlich, aber feminin mit Rundungen, hübsches Gesicht, klasse Ausstrahlung. Ich beobachte sie in Gesprächen, wie sie aus dem Herzen lacht, wie das Schöne an ihr auch von innen kommt. Es klingelt an der Tür - jetzt kommt der Junge! - beoachte weiter, registriere diesen kleinen blonden Jungen, ihr Enkelkind?, sie ist unendlich einfühlsam, diese tolle Frau mit diesem kleinen Wesen, so liebvoll, beide zusammen so glücklich, irgendwas passt nicht....

Das ist ihr viertes Kind, höre ich in den Gesprächen am Tisch, ich kann dem Gespräach ncihts zutun, nur zuhören, ich bin zu fertig. Die Blicke vom Kind und mir treffen sich, wir lächeln uns an, ja sie wünschten irgendwie auf einmal noch ein Kind, die anderen Kinder sind irgendwas um die zwanzig, Gesprächsfetzen, die Ärztin hat die Untersuchung gemacht um "es" auszuschließen, für sie gab es keine Ausschließung, ganz normale Schwangerschaft, ganz normale Geburt, und sie sei so stolz gewesen.

Ich kenne Frauen mit behinderten Kindern. Wirklich. Darunter auch tolle Frauen. Aber sowas liebevolles, selbstverständliches habe ich noch nie erlebt.



Dienstag, 3. April 2012
Habe heute Blumen auf der Arbeit überreicht bekommen. Fünf Jahre Saftladen. Oh wie feierlich! Ich könnte im Strahl den ganzen langen Flur vollkotzen. Kollegin gibt damit an, dass sie nächstes Jahr schon zehn Jahre dort ist. Sie gibt auch damit an, dass sie sich sehr gut in den Charts auskennt und lacht mich aus, weil ich den und den Radiohit erst seit Neustem kenne. Fickt euch doch. Vielleicht würde es dann mal besser laufen. Alle untervögelt und keiner kommt auf die schlaue Idee, in der Mittagspause zum Mastubieren mal eben nach Hause zu fahren.

Bei fünf Jahre Saftladen kommt mir die Erinnerung hoch an das, was davor war. An gute Praktika, an schlecht bezahlte Jobs, an Zeiten, in denen ich für die letzte Woche im Monat nicht mal mehr zehn Euro hatte. Und dass ich das damals schon alles hier irgendwo aufschrieb. Unter Null? Overloaded? Ist doch letzten Endes das selbe. Teilweise jedenfalls.



Freitag, 30. März 2012
Und während ich so versuche, die nächsten Tage, die nächsten Urlaube, den nächsten Sex, mein Leben oder was auch immer zu planen oder wenigstens irgendwie auf die Reihe zu bekommen, liegt meine Mutter da in der nächsten Klinik, und ich weiß nicht mal, ob sie an mich denken kann, ob sie mich vermisst, ob sie stündlich darauf hofft dass ich vorbeikomme, ob sie überhaupt irgendwas wahrnimmt. Sie liegt da jetzt, vielleicht ist sie gerade wach, vielleicht nicht, vielleicht ist sie sediert, bekommt gar nichts mit, oder kann nicht schlafen und fühlt sich hilflos und einsam. Ich weiß es nicht. Ich habe sie seit fast einer Woche nicht mehr gesehen. Ich weiß es nicht, und es tut so weh, weil sie einfach ein klasse Mensch ist und weil ich sie so sehr vermisse, weil ich so gerne mit ihr sprechen würde, über alles. Sie fehlt mir so sehr.

Ich würde ihr so gerne von der Arbeitskollegin erzählen, von dem neuen Büro, von dem Plan mich vielleicht doch einfach in die Selbstständigkeit zu stürzen, von dem schwulen Nachbarn, den ich vielleicht doch noch rumkriege, von dem Wellnesstrip den ich mit der Bierfreundin plane, vielleicht auch von dem altem Mann, mit dem ich da irgendwas angefangen habe, von dem Bügelberg, den ich nicht alleine abgebaut bekomme - ob sie zum helfen vorbeikommt - von meinen Ängsten und Sorgen und warum ich nachts nicht schlafen kann. Aber sie liegt da jetzt irgendwo in irgendeiner Klinik. Und ich hoffe einfach nur, dass sie schlafen kann und irgendwas schönes träumt von früher, als wir noch miteinaneder reden konnten.