Montag, 16. September 2013
Irgendwas hat mir gestern extrem zugesetzt und ich nehme an, das Fass zum überlaufen brachte der Besuch bei meiner Mutter im Pflegeheim. Als ich dort rausging, kamen schon Tränen auf. Ganz cool verdrängt. Zurück zu Hause gegen Mittag konnte ich mich dann noch eine Stunde ablenken, aber dann war doch das erste Bier auf. Natürlich dennoch die Dinge erledigt, die erledigt werden mussten. Nachmittags dann auf einem tollen Fest die besten Freunde getroffen und es gab weiter Bier. Gegen acht neun ließ ich mich von zweien nach Hause bringen. Eineinhalb Liter Wasser, Magnesium, Calcium und ab ins Bett. Nach vier Stunden Schlaf wache ich auf und bleibe die restlichen vier Stunden wach liegen. Der Blick in den Spiegel dennoch nicht schlecht. Die fünfzig km zum neuen Job heize ich nicht wie sonst - ich fahre extra eher los um in aller Ruhe auf der rechten Spur bleiben zu können. Ich stürze mich in Stillarbeit, werde aber gegen halb zwölf zu einer Besprechung gerufen. Geschickt vertusche ich Wortfindungsschwierigkeiten und stelle mein Konzept vor. Es kommt super an. Dennoch bin ich mir nicht sicher ob man mir meinen Zustand anmerkt.

Beim Fest gestern grüßten mich zweimal Leute, die ich nicht einordnen konnte. Ich konnte aber auch nicht meine freundliche offene Art nutzen um einfach zu sagen dass ich sie gerade nicht einordnen könne (mache ich sonst immer einfach). Ich konnte auch nicht die Schwester von einem Ex (ein Nerd vor dem anderen Nerd, wir wohnten sogar zusammen) begrüßen und mir ihr süßes Kind anschauen. Die Eltern begrüßten mich herzlich. Ich nahm mir einen Hund und tat beschäftigt.
Zu Beginn des Festes war was Schönes. Die Freunde mit den kleinen Kindern kamen und wollten direkt auf meinen Arm und mir was anschauen und sich ankuscheln etc. Man sah mich mit dem süßen Jungen. Jetzt gibts erst mal Gerüchte. Und ich habe Spaß dabei.

Keinen Spaß machen mir die Erinnerungen an gestern. Was ist das verdammt nochmal, was ich das dass ich nicht einfach irgendwann aufhören kann zu trinken. Es ist und bleibt alles zu viel.
Ruhe bewahren. Die nächsten Tage nur auf Arbeiten und Sport konzentrieren. Wenn ich es schaffe den Rest der Woche fit ins Büro zu gehen, wird alles erfolgreich. Ich kann die Sachen die dort machen muss gut. Und die Stimmung ist sehr kollegial und freundlich. Eine Arbeit wo man gerne hingeht.

Ich gehe dann mal einfach ins Bett....



Samstag, 14. September 2013
Jetzt bloß nicht reindenken bzw. reinschreiben, jetzt bloß die Ruhe bewahren. Und schon sitze ich hier, und schon ist das Konterbier geöffnet. Eine feine, kleine Party war das gestern abend. Musik vom allerfeinsten, das beste was ich diesen Sommer an elektronischer Musik gehört habe. Und ich habe viel gute Musik in den letzten Monaten gehört. Der Freund (der von den mit den Kindern) bewahrte mich um drei Uhr dann davor, dass ich mit dem schönen, durchtrainierten, heißen jungen Mann abgestürzt bin und nahm mich stattdessen mit zu denen nach Hause. Nach vier Stunden Schlaf werde ich zärtlich und flüsternd von den beiden Kindern geweckt. Schon vorher höre ich sie mit den Eltern im Badezimmer oben unterhalten, höre wie ein Ratespiel losgeht wer unten auf der Couch als Überraschung läge. Lud mich der kleine Mann doch tags zuvor noch zum Abendessen ein, das sei doch mal wieder schön wenn ich mit seiner ganzen Familie zusammen essen würde! Dann streicheln ganz leicht und vorsichtig kleine Hände liebevoll meinen Rücken und sagen im Flüsterton, dass ich aufwache solle, denn Frühstück sei schon fertig. Was für ein schöner Start in den Tag!
Gegen zehn komme ich nach Hause und stelle meinen Zustand fest. Ich muss mich nochmal hinlegen. Peu á peu machen sich postalkoholische Deprigefühle breit, miese Gedanken jagen stichartig durch meinen Kopf. Ich bemühe mich ruhig zu bleiben, überlege kurz scharf nach, was ich heute alles erledigen muss, was auf morgen verschoben werden kann. Mein Vater ist verreist und meine Mutter ist seit Mittwoch in einer Ku*rzzeitpf*lege. Ich beschließe heute alles zu erledigen so dass morgen viel Zeit und Ruhe für sie da ist.
Beim Sport bin ich stark. Zyklusmitte halt. Der Blick in den Spiegel ist unglaublich schön. Freunde sagten bereits, dass sich mein Gesichtsausdruck geändert hätte seit dem neuen Job, selbst wenn ich müde aussehe, sähe ich glücklich aus. Nach dem Sport komme ich seltsamerweise nochmal schlechter drauf. Ich kaufe ein, will was Gutes kochen, Fisch und Gemüse, alles frisch. Und dann gehts los, dann habe ich plötzlich total parat, dass der kleine Bruder vom Nerd heute heiratet. Ich wurde eingeladen und habe sofort gesagt, dass ich nicht kommen kann. Ich konnte mir das nicht geben. Der Nerd hat mehr oder weniger offiziell eine Neue. Ich hätte die ganze Familie getroffen, diese Familie die ich so sehr mag. Und ich erinnere mich noch so gut wie wir damals in Bierlaunen eine Doppelhochzeit planten. Ich fahre weiter Richtung nach Hause und fühle mich gestresst, denn ich will noch eine Karte und ein Geschenk kaufen, weiß nicht was, weiß nicht wo. Biege plötzlich ab, parke an einem großen Einrichtungshaus, ein Edles, schlendere dort rum, finde Geschenke und Karte. Schaler Geschmack im Mund. Und dennoch freue ich mich über mich, dass ich doch dann letzten Endes alles immer irgendwie gut hinbekomme, dass ich mich auf mich verlassen kann, dass ich Lösungen finde und mir vielleicht gar nicht immer so viel Sorgen machen sollte. Von außen betrachtet finde ich das gut, wie ich lebe aber innendrin fühlte es sich die letzten Jahre selten gut an.
Im Hintergrund läuft Radio, Re*gener ist seit ein zwei Stunden dort im Interview, ich bin auf das neue Buch gespannt. Mein gekochtes Essen war hervorragend. Die Wohnung ist gut aufgeräumt und geputzt, das Bett frisch bezogen.
Ich schiebe Sorgen beiseite, das wird sich schon alles richten, wichtig ist doch jetzt erst mal, dass ich mir diesen tollen neuen Job besorgt habe. Jetzt erst mal dort in Ruhe einarbeiten, mich eingewöhnen in dieses Gefühl morgens gerne zur Arbeit zu fahren und dann mal weitersehen.

Ich habe schon mehrmals diesen Sommer festgestellt, dass mir ein Partner besonders dann fehlt, wenn es mir gut geht, wenn ich glücklich bin. Das würde ich doch dann so gerne teilen.



Dienstag, 10. September 2013
Ich war vierzehn oder so, achte Klasse. Ich erinnere mich noch genau. Es war der Frühsommer, in dem ich in der Schule noch schnell Gas geben musste um das Schuljahr zu packen und irgendwie lief alles, wenn auch mit großem Druck verbunden. Zu Pfingsten war ich soweit, dass ich nur noch ein oder zwei schlechte Noten mit den letzten Klausuren wett machen musste. Neben mir saß M., ein schlaues Mädchen, mit nicht-akademischen Migrationshintergrund; sie gab mir vor Klausuren ihre in Feinarbeit angefertigten Spicker: hier, nimm du, aus dir wird nochmal was. Ich müsste sie eigentlich mal ausfindig machen...und mich bedanken...

Zu Pfingsten charterten meine Eltern mit ihren besten Freunden zusammen ein Schiff mit dem wir drei (ohne meine Schwester) und deren Sohn und seinem besten Freund das Wochenende auf niederländischen Kanälen verbrachten. Es war Sommer. Ich war recht sportlich zu der Zeit. Die Anfahrt war schrecklich, mein Vater verfuhr sich, meine Eltern kannten sich beide nicht wirklich aus und es dauerte gefühlte zehn Stunden bis wir den Hafen in dem das Schiff lag Freitag abends erreichten. Aber irgendwie war alles gut. Ich frage mich was ich für Musik zu der Zeit hörte, was zu der Zeit lief. Das alles ist zwanzig Jahre her. Zwanzig Jahre. Ich fass es nicht.
Der damals beste Freund von dem Sohn der Freunde der Eltern war klasse. Hatte gerade Abi gemacht, mit Anfang zwanzig, da er zwischendurch mit seinen Eltern im Ausland gelebt hatte. An einem Hafen rief er einen Mitschüler von einer Telefonzelle aus an um nach seinem Durchschnitt zu fragen, der an dem Freitag bekannt gegeben worden war. Der Durchschnitt war zu schlecht für das was er vorhatte, ich glaube er wollte Psychologie studieren oder als Plan B Fluglotse werden, sowas irgendwie. In meinen Augen damals was ganz Großes. Sein Abi war zwei Komma irgendwas, vllt zwei komma eins.
Er trug nur fünfnulleins und sie waren wie für ihn gemacht. Er war blond, kurze Haare, leuchtend blaue Augen, komplett drahtig durchtrainiert. Und er war sooo nett! Alle wussten dass ich ihn ihn verliebt war, er wahrscheinlich auch. Aber er war natürlich unheimlich alt und groß für mich. Er war über zwanzig!!! Und er unterhielt sich mit mir, brachte mir surfen bei, war einfach nett zu mir. Das war alles so großartig für mich. Abends gingen die Jungs in den Häfen aus, ich schlief. Sie schliefen auf den Bänken im Schiff, ich schlief im Bug, die beiden Eltern in den Kajüten. Ich hatte ein tolles großes Badelaken von einer damals sehr angesagten Marke und als einmal ein Windstoß aufkam und es im Wasser landete, war er schon dabei sein TSchirt auszuziehen um ins Wasser zu springen und es zurück zu holen. Das Schiff hinter uns (es war quasi Stau) hatte es aber schon mit einer Stange eingefangen. Was für eine Aufregung!
Er hatte von besagter Marke eine Lederjacke die ihm naürlich unheimlich gut stand. Der ganze Typ war einfach damals für mich das non plus ultra. Hätte man Anfang der Neunziger den perfekten Typen abgebildet - er wäre es gewesen. Am letzten Tag wurde noch ein Foto von uns beiden gemacht, am Hafen vorm Schiff, er legte den Arm um mich. Und ich erinnere mich noch genau wie ich M. am Dienstag danach in der Schule alles ganz genau erzählte. Ich wär so schön braun gebrannt, mein Nacken sei zum Anbeißen, sagte sie damals.
Wir sahen uns immer wieder mal, aber eher selten. Ich hörte aber stets von den Freunden meiner Eltern was er machte, auch wenn die Freundschaft zwischen ihm und dem Sohn auf der Strecke blieb. Zuletzt hatte er die Kneipe seiner Oma mitten im Ruhrpott übernommen. Er sei sein bester Kunde gewesen. Verheiratet war er dann auch. Immer wieder in den letzten Jahren dachte ich, ich müsse dort einfach mal vorbeifahren, mich an den Tresen setzen und ihn überraschen.

Gestern schreibt mir die Freundin meiner Mutter eine Nachricht. Er ist mit dem Motorrad verunglückt.

Ich möchte mich betrinken, möchte weiter aufschreiben, die vielen Erinnerungen, möchte die Musik von damals raussuchen, möchte dem Abend einen entsprechenden Rahmen geben, möchte darüber schreiben, wie sich das anfühlt Erinnerungen aufzuschreiben die zwanzig Jahre zurück liegen, möchte mit jeder Zelle an ihn zurückdenken, möchte mich dem Gefühl hingeben wie das zum ersten Mal im Leben ist wenn jemand stirbt dem man eigentich noch so sehr treffen und sprechen mochte.

Im Hintergrund die Musik aus Sommer 2013. Die Uhr zeigt mahnend den Wecker von morgen um dem großen Stau am Westhofener Kreuz zu entgehen. Der Kopf schiebt Panik ob der wichtigen Termine morgen in diesem neuen Lebensabschnitt. Mein Vater wird nochdazu länger verreisen. Und der Typ von neulich schickt drei Nachrichten und ich müsste mal entscheiden ob ich antworten will oder nicht. Hinzu immer noch der schale Nachgeschmack vom miesen Weiterbildungswochenende. Es bleibt doch wie immer: alles zu viel.