Also Sie müssen sich jetzt auch darauf einstellen, dass Ihre Frau bald stirbt, hätte die Palliativfrau gesagt, erzählt mir mein Vater. Was denn sei wenn sie gar nicht mehr schlucken könnte, nichtmals mehr das kleine Frühstück, was zurzeit noch so gerade eben klappt, sie ihr keine Medikamente mehr könnten, fragte er sie darauf. Dann werden wir sie sedieren, dann wird sie einschlafen und dann werden wir sie auch nicht wiederholen.

Das haben die Palliativfrau und mein Vater so gesprochen, und als mein Vater mir das erzählt, spricht er alles ganz deutlich aus: se-die-ren. Nicht mehr wie-der-holen. Se-die-ren. Er sagt mir das vor wie die Grundschullehrerin früher Diktate aufsagte, ganz deutlich gesprochen und Silbe für Silbe, so dass wir Grundschüler das auch genau verstehen und mitschreibenzu wissen. Se-die-ren.

Ich muss an den netten Tierarzt denken. In ählicher Weise erklärt er Vorgehensweise bzgl des kleinen Streunerkaters. So erklärt er wahrscheinlich auch Tierbesitzern, wie das jetzt abläuft wenn man das Tier einschläfern muss. Wir werden Ihren Wuffi se-die-ren. Er spürt dann nichts mehr und wird dann einschlafen. Ein-schla-fen.

Wollte was anderes (so unendlich viel) aufschreiben, aber jetzt fällt mir ein wie unser Kater von früher eingeschläfert wurde (ich war 18 oder so). Ich fragte meinen Vater genau was der Tierarzt noch gesagt hätte und so und er erzählte u.a dass er dann am Ende gefragt hätte wie das mit der Entsorgung gehen würde und dann erklärte der Tierarzt dass die Praxis das übernehmen würde. Ent-sor-gung. An was für ne Scheiße ich mich erinnere.




Ich sitze auf der Terrasse, auf meiner kleinen grünen Bank wie sie auf meinem Balkon stand, höre Musik. Die Leute sitzen nicht draußen, sagte meine Mutter immer. Die sitzen im Wohnzimmer vorm Fernseher, dabei ist das Wetter so, dass man gut draußen sitzen kann. Mein Vorteil, wie früher auf dem Balkon, ich sitze, schreibe, rauche, trinke, dabei Musik. Hier auf der Terrasse ist es noch viel schöner als auf dem Balkon: mein Platz hier ist nicht einsehbar. Und es gibt keine hundert Nachbarn oder Balkone, sondern nur ein Haus rechts von mir, die lieben Leute dort sitzen eben vorm Fernseher oder sind nicht da, so oder so kann mich hier keiner sehen.
Rechts von mir auf der Bank liegt der kleine Streunerkater. Er schaute gerade neugierig, denn Laptop kennt er nicht so gut. An das Lied in Schleife hat er sich in den letzten dreißig Minuten schon gewöhnt.
Mein Ehemann kommt kurz raus, ich sage ich müsse was aufschreiben, noch ein paar Biere lang. Er stellt mir noch eins hin und geht wieder rein. Ich fühle mcih verstanden.

Honig im Kopf habe ich nie gesehen und die Rudi Asshauer Biografie liegt auch seit Erscheinungstag ungelesen in meinem Bücherregal. Ich habe heute noch an ihn gedacht. Irgendwo hing ein Plakat, eine Werbung für irgendeine Veranstaltung die mit ihm zu tun hatte. Ich fuhr im Auto daran vorbei, war heute im Ruhrpott unterwegs, konnte nicht genau sehen um was es sich handelte. Ich bekomme manche Sachen zeitlich nicht mehr zusammen. Ich weiß noch wie meine Mutter und ich vorm Fernseher saßen und ihn am Spielfeldrand sahen und meine Mutter noch sagte: ist der besoffen oder was? Da war er schon längst krank und meine Mutter wahrscheinlich auch. Ich habe heute noch überlegt ob sie die Diagnose ungefähr zeitgleich bekamen. Er war jedenfalls in einem früheren Stadium. Und - was mir heute klar wurde - in bessere ärztlicher Betreuung. Meine Mutter sagte ihrer Hausärztin zwei Jahre lang dass was nicht stimmen würde.....

Sie liegt da, sie liegt fast nur noch, da im Wohnzimmer, da wo ich aufgewachsen bin, in dem Wohnzimmer, sie liegt da, jeder Atemzug ein Kampf, immer wieder ein Verschlucken, husten, beruhigen. Qual. Das Gesicht mittlerweile so sehr eingefallen, dass es schwerfällt sich an das Lachen von früher in diesem Gesicht zu erinnern. Ich spreche sie an. Mein Vater streichelt sie, sagt dass ich jetzt da bin (das hätte er ihr schon den ganzen vormittag erzählt, dass ich gleich komme). Sie versucht die schweren Augenlider zu öffnen. Versucht was zu sagen. Alles zu schwer. Ich bleibe tapfer.

Ich bleibe die ganze Zeit tapfer, so wie ich als Kind tapfer sein sollte, wenn der Kinderatzt mir Blut abnahm. Die Lieblingspflegepolin ist im urlaub, die [strike]"Dicke"[/strike] Freundin von meinem Vater ist da, ich muss noch lange nach Haue fahren, ich muss gerade einfach tapfer bleiben. Beiße die Zähne zusammen. Ich beiße die ganze Woche die Zähne zusammen. Die Aufbisschiene fängt das nicht komplett auf, rechts tut der Kiefer weh. Auf der Arbeit organisiere ich das Event von Do. Ich schlafe kaum. Mittwoch morgen schaue ich in den Spiegel, heute wichtige Gespräche, kann ich oder kann ich nciht? Ich kann. Ich mach. So gerade eben noch professionell. Meine Güte bin ich mittlerweile professionell geworden.

Dann zwei Tage Weiterbildung. Und ich bin mit Präsentation dran. Ich denke an ein großes Vorbild von mir, was er mal in einem Vortrag erzählte von sich, von seinen inneren Kräftnen, die da hinten im Rücken sitzen, die ihn stärken, und er fragt sie ob sie auch da seien, wenn er nciht wirklich könne, ja, auch dann würden sie ihm beistehen. Ich frage meine inneren kräfte, und auch sie sagen, dass sie da seien, auch wenn ich nicht mehr kann. Ich berühre meinen linken Ringfinger, dort der fette rotgüldene Ehering und (wie Vorsteckring) der zierliche brillibesetzte Ring meiner Mutter, den mein Vater ihr peu a peu besetzt hatte: meine inneren Kräfte sind da, sind bereit. Ich beiße weiter die Zähne zusmmen, gestern, heute. Jetzt dürfen die Tränen endlich kommen.