Donnerstag, 18. Oktober 2012
Ich hätte im Strahl kotzen können als der Chef mir heute nachmittag mitteilte, dass ich nun doch seinen Abendtermin am Arsch der Welt bitte wahrnehmen soll. Gestern hat er noch groß rumposaunt er würde hinfahren. Ich habe kein Problem damit Abends Termine abzureißen, aber ich finde es so ätzend wenn sowas spontan kommt. Ich habe einen auf angkotzt gemacht und bin dann einfach um vier abgehauen. Erst mal nach Hause. Erst mal abhängen, erst mal spülen, erst mal einen Tee trinken, erst mal checken dass ich ja doch noch Milch habe und nicht mehr einkaufen muss, erst mal Zähneputzen, erst mal Haare zusammen binden, erst mal in Schale werfen. Später dann losgefahren, linke Spur, Vollgas zum Arsch der Welt. Dort angekommen festgestellt, dass meine Schlüssel nicht passen. In eine fremde Besprechung reingeplatzt um mir einen anderen Schlüssel zu besorgen. Von dem Chef dort. Termin mehr schlecht als recht abgewickelt, schätze aber dennoch es wird Tinte für gut fünf T. Immerhin, besser als nichts, und er selbst hätte da auch nicht mehr rausgeholt, wahrscheinlich sogar weniger. Nun denn.

Gefreut habe ich mich über die netten Begegnungen dort heute. "Oh, schön Sie zu sehen, wir kennen uns ja nur vom Telefon, ich freue mich jetzt ein Gesicht dazu zu kennen", "Hallo Frau sowieso! Das ist ja eine Überraschung! Sehen wir uns bei der Feier nächste Woche?", "Ach Sie sind heute auch hier! Ja hätte ich das gewusst! Ich hätte Blumen mitgebracht!"

"Wie geht es dir, du siehst gestresst aus. Ist alles ok?", fragt er besorgt während er mir die Tür aufschließt, in dessen Schloss mein Schlüssel plötzlich nicht mehr passt. Ich kann auf Knopfdruck strahlen, nur wer genau hinsieht kann erkennen wenn ich leide. Ich wimmel ab: falsche Frage, danke fürs Aufschließen. Ich ziehe mir innerhalb fünf Minuten die Präsi rein die ich gleich halten soll, breche dann aber irgendwann ab weil ich ja mittlerweile eh schon von mir weiß, dass ich auch hervorragend Präsentationen halten kann, die ich nicht kenne. Ich kann das sogar wenn die Präsentation aus technischen Mängeln nicht läuft. War nicht immer so, aber man wird halt Profi. Eine Minute vor dem Termin gehe ich kurz vor die Tür, er steht da, rauchend, bietet mir eine Zigarette an. Ich habe keine Zeit mehr, versichere aber den Termin schnell abzuhandeln und in spätestens einer Stunde fertig zu sein.

So, jetzt endlich Feierabend, fragt er und packt auch seine Sachen zusammen. Warte, ich komme mit, fügt er hinzu. Ich lasse die Tür einfach offen denn mein Schlüssel passt ja eh nicht und beginne vorsichtig die Treppen hinab zu steigen. Der Fuß schmerzt, ich kann kaum auftreten. Fast draußen hat er mich eingeholt. Ob ich jetzt ohne ihn gehen wolle, plötzlich sei ich weggewesen. Nein nein, bin noch da, können noch zusammen eine rauchen. Leider rauchen wir nicht alleine. Die Frau vom quasihausmeister steht auch dort, raucht auf, bleibt aber stehen. Und will sich mit uns unterhalten. Ich bin ja eh schon angenervt und jetzt fast noch mehr denn ich will diesen Chefmann von dem Laden ein paar Minuten für mich. Ich lasse mir natürlich nichts anmerken und als ich bemerke dass sie nach ihrer Zigarette nicht reingehen sondern sich mit uns unterhalten will, integriere ich sie ins Gespräch. Sie ist sehr freundlich (immer, der Quasihausmeister auch) und interessiert. Wir sprechen über Kunst. Noch bevor mein müder Kopf es schafft mir Angst zu machen dass die Situation jetzt eskalieren könnte, weil der Chefmann eigentlich auch lieber mit mir alleine Zeit verbracht hätte und er vielleicht wie die anderen Kollegen dort abwertend mit dieser Frau vom Quasihausmeister sprechen könnte und noch bevor mein müder Kopf mir wieder sagt dass er doch ein arroganter Schnösel ist der nur baggern will weil er - wie mir schon aus sicherer Quelle nahegelegt wurde und ich beim Blick auf seine ringlose Hand sehen konnte - auch noch Single ist ("Nimm den! Der ist süß, der sucht!" - kotz), passiert das Unglaubliche: er integriert sie ins Gespräch genauso wie ich, wertschätzt ihre Aussagen, ist nett und freundlich. Ich bin baff. In dem Saftladen in dem ich arbeite ist neben vielem anderen Mist in der Unternehmenskultur (natürlich unausgesprochen) verankert: mit allem was unter einem steht geht man auf gar keinen Fall nett um. Generell: Wertschätzung gibt es nicht, und schon gar nicht nach unten. Ich hasse den Laden dafür und ich ecke an weil ich anders handel. Natürlich werde ich dafür angegriffen. Es ist zum Kotzen.
Dieser Chefmann gehört aber nicht zu dem Saftladen für den ich arbeite. Komplizierte Verbindung, unwichtig. Jedenfalls ist er einer von dem man beim ersten Erscheinungsbild genau eine solche ätzende Haltung erwarten würde. Und auch ich habe ihn eine solche Schublade gesteckt. Mein Chef versteht sich nicht wirklich mit ihm und ich habe mich immer gefragt warum. Eigentlich beides kleine Männer, also kein Potenzproblem oder sowas was da zwischen Männern abgeht. In der Situation heute da vorm Gebäude mit der Frau vom Quasihausmeister rauchend, er als Oberchef, ich als wichtige Person aus sowieso vom Unternehmen sowieso dabei, wir drei über Kunst redend, da wurde mir klar was das Problem von meinem Chef mit ihm ist: er ist authentisch.
Wo hast du geparkt fragt er als er mich schon auf dem Weg in die Tiefgarage begleitet. Da unten, antworte ich als ich die nächsten Treppen vorsichtig runtersteige. Wir stehen in der Tiefgarage und unterhalten uns über meinen und über seinen Saftladen, die Stimmung ist vertraulich. Nach zehn Minuten kann ich nciht mehr rumstehen da ich gefühlte eine Mio Sachen in der Hand habe. Ich frage mich in welches Auto er steigt. Schaue mir die Autos die da in der Nähe stehen an. Wo stehst du? Ach da hinten, ich parke immer da hinten, nicht hier in der Tiefgarage, ich wollte dich nur begleiten.

Die Frau vom Quasihausmeister hat da alles gecheckt, bin ich mir sicher.



Dienstag, 16. Oktober 2012
Innerhalb weniger Minuten von einem Extrem in genau das gegensätzliche Extrem gejagt zu werden, ist heftig, haut einen um. Und ich machte mir kurz einen Vorwurf dass ich das selbst verursacht hatte, aber das heftige Gefühl der Gegensätzlichkeit lenkte mich von Selbstvorwürfen ab.

Irgendwie schaffe ich es vor sechs Feierabend zu machen. Jetzt nicht direkt nach Hause fahren, den frühen Feierabend irgendwie nutzen. Ich besuche spontan die Freunde mit den Kindern. Mal ausnahmsweise so früh die Freunde besuchen, dass ich die Kinder noch mitbekomme da sie noch nicht schlafen. Die Freundin freut sich, hängt draußen in der Sackgasse mit den Kindern und der Nachbarin ab, beide umarmen mich herzlich. Die Jungs spielen mit Stöcken und ich gebe mich als Stockprofi aus und probiere beide Stöcke. Das kleine Mädchen auf dem Arm der Freundin ist noch zu klein um mit den Jungs mit den Stöcken zu spielen aber sie traut sich endlich mich anzulächeln und begutachtet mich genaustens. Schließlich gehen wir rein, ich verspreche dem kleinen Jungen noch den Stock da vorne an der Treppe zu verstecken, für morgen. Selbstverständlich handelt es sich um einen besonderen Stock. Während die Freundin die Kinder aus- und umzieht räume ich draußen auf, nehme die verschiedenen Getränke mit rein, frage noch wer den Apfel gegessen hat "Die Mama", antwortet der kleinen Mann und stürme drinnen mit den Kindern die Kinderküche. Wir kochen Babybrei für die kleine Schwester und ich habe Probleme der Prinzessin die Hausschuhe anzuziehen. Irgendwann kommt endlich der Papa nach Hause und beide Kinder umstürmen ihn. Ich weiß, er hat mindestens einen solchen Scheißtag wie ich in der Firma hinter sich und ich checke: hier kommt sein Ausgleich. Wir sitzen beim Essen zusammen und der kleine Mann muss unbedingt mit mir den Hähnchenbollen teilen. Vorwurfsvoll sagt er mir, er hätte keine Gabel. "Wir essen heute mit den Fingern", antworten die Eltern, doch ich unterstütze natürlich dass das Kind mit Messer und Gabel essen will und springe auf und besorgen die Gabel. Wir flirten beim Essen ein bißchen rum, sitzen nebeneinander. Ich preise ihm die Kartoffeln an, doch er mag nicht probieren. Muss er laut Eltern auch nicht. Hallo? Ich finde man solle ein Kind dennoch animieren etwas zu probieren. Letztendlich muss ich mir seine Kohlenhydrate reinziehen. (Ich esse keine Kohlenhydrate). Nach dem Essen kommt der Opi spontan vorbei und wir toben auf der Couch. Ich bin ein bißchen aussenstehend, Papi und Opi sind jetzt die Nummern eins. Opi bewirft das kleine Mächen mit Kissen, sie weint nicht, sie lacht, und mir wird klar: sie ist jetzt schon endcool und sie wird noch cooler im Laufe der Jahre, denn sie hat einen großen Bruder. Der Sandmann wirft uns Sand ins Auge und als alle ins Bett gehen, verabschiede ich mich.



Montag, 15. Oktober 2012
Nach all den Jahren verneine ich mittlerweile obligatorisch. Ich winke oft schon im Vorfeld ab, meistens entziehe ich mich sogar bereits in dem Moment, wenn ich mitbekomme dass die Situation beginnt. Es gibt gar keinen Augenblick mehr der Entscheidung, ich bin enfach raus. Bin bei sowas nicht mehr dabei. Ich gehe dann einfach woanders hin, zum Bierstand, zur Tanzfläche oder nach Hause. Die Zeiten haben sich geändert.

Was es seit Jaaaaaaahren allerdings nicht gab: eine solche Situation bei mir zu Hause. In kleiner, vertrauter Runde. In Bierlaune. Mit Cohen im Hintergrund. Und so ergab es sich gestern, dass ich nicht obligatorisch verneinte, dass ich zwar kurz zögerte aber dann zusagte. Als meine langen schlanken Finger das Tütchen entgegennahmen, begann meine Zeitreise.

Wir unterhielten uns auf deutsch, auf englisch, auf französisch, wir unterhielten uns über Freundschaften, über Musik, über die RAF, über das Sauerland, über meine Arbeitskollegin. Und ich erzählte vom Biertrinken mit Chef und dem Lieblingskollegen, vom Sport mit dem neuen Freund, dem alten Mann und als das Bier leer war, ich schenkte einen guten deutschen Wein ein.

Ich wartete. Ich wartete auf das Kribbeln in den Wangenknochen was die Mundwinkel hochzieht, ich wartete darauf in die Couch gedrückt zu werden, mit ihr zu symbiosieren. Ich wartete auf mein Herz, ob es stark klopfen würde. Ich wartete auf den Moment wenn Raum und Zeit irgendwie anders rüberkommen und am meisten wartete ich auf diesen wunderbaren Moment, an den ich mich noch so gut erinnere, den ich so sehr schätzte damals, der Moment wenn sich eine Decke auf den Kopf, auf all die Sorgen legt.
Das Kribbeln in den Wangenknochen setzte ein und zog mir die Mundwinkel nach oben, aber ich war eh schon glücklich ob des guten Besuchs. Es kam kein schlechtes Gefühl, vielmehr fühlte ich mich so gut, dass ich Lust bekam, wieder mehr Tütchen zu rauchen als Bier zu trinken. Bei der Diskussion dass Alkohol eine ehrlichere Droge sei, beteiligte ich mich kaum noch.
Später im Bett genoss ich. Ach ja, so war das, man ist tief ins Bett gedrückt, das Kopfkino macht Spaß und nichts dreht sich, die Bettdecke ist ganz schön schwer, wow fühlt sich das gut an, ja, genau so war das damals, als jeden Abend vor dem Schlafengehen diese Decke über alles gelegt wurde und ich tiefentspannt einschlief.

Ich hatte die Tüte vor einigen Monaten Sonntags morgens beim Joggen gefunden. Muss jemandem aufm Heimweg nachts vom Ohr gefallen sein. Monatelang lag es hier, keiner wollte es haben, keiner traute sich es zu rauchen. Was da wohl drin sei!, empörten sich die nun Erwachsenen. Es war völlig klar dass das ein ganz normales Tütchen war, was sich jemand noch für zu Hause gedreht hatte und auf dem Heimweg verloren hatte.
Er gestern war der erste der es ohne zu zögern anzündete. Er ist der frz Herzmann der Bierfreundin und der Abend gestern mit den beiden rundete das völlig unverplante und vielleicht deswegen äußerst positiv aufregende We vom Feinsten ab.